Um diese Kränkung zu heilen, wollen sie, dass der Näheflüchter sich schlussendlich doch noch zu ihnen und seinen großen Gefühlen für sie bekennt. Mit dieser Lösungsfantasie hängen sie vollkommen an der Angel. Der „Täter“ soll in Personalunion der Arzt sein, der ihnen die Wunden verbindet. Dahinter steckt die tiefe Überzeugung, dass es letztlich ihre Schuld ist, dass der Partner sich nicht wirklich auf sie einlässt. Bewusst oder unbewusst meinen sie, wenn sie besser, schöner und klüger wären, dann würde der Partner sich bekennen. Das heißt, sie arbeiten sich mit ihrer passiven Bindungsangst an ihrem eigenen Selbstwertgefühl ab.
Die aktiven Partner hingegen (die in anderen Situationen und Beziehungen ja ebenso die passiven sein können) fühlen sich von den großen Gefühlen und Erwartungen ihres passiven Partners erdrückt. Sie meinen, die ganzen Ansprüche, die dieser an sie stellt, nicht erfüllen zu können. Weil sie sich so schlecht abgrenzen können, fühlen sie sich von den Wünschen ihrer Partner stark vereinnahmt und sehen ihre einzige Chance auf Freiheit nur in der Flucht. Auch hinter den schlechten Abgrenzungsfähigkeiten steckt ein labiles Selbstwertgefühl.
Gerade der passive Beziehungsverweigerer hält sich oft für einen Menschen mit sicherem Bindungsstil. Wie finde ich für mich selbst heraus, ob ich mich unbewusst vor Nähe fürchte?
Es ist wirklich ein großes Problem, dass Menschen, die vorwiegend unter passiver Bindungsangst leiden, eine ganz große Sehnsucht nach Liebe und Beziehung tragen und deswegen der tiefen Überzeugung sind, dass Bindungsangst überhaupt nicht ihr Thema sei. Letztlich leiden sie auch häufig unter einem „anklammernden Bindungsstil“. Dieser wäre nicht so ein Problem, wenn sie sich Partner suchten, die ebenfalls eher zu den Klammeräffchen gehören. Tatsächlich suchen sie sich jedoch meistens Partner aus, für deren Liebe sie kämpfen müssen. Hier werden in der Regel alte Kindheitskonstellationen wiederholt. Häufig haben sich die Betroffenen bereits als Kinder angestrengt, die Liebe ihrer Eltern bzw. eines Elternteiles zu erhalten.
Kinder sollen in Nähe-Distanz-Beziehungen oft helfen, den Partner zu einer engeren Bindung zu bewegen. Wie gut funktioniert diese Technik und welche anderen Möglichkeiten empfehlen Sie?
Naturgemäß können es ja nur die Frauen sein, die mittels einer „zufälligen“ Schwangerschaft einen Mann enger an sich binden wollen. Diese Rechnung geht jedoch nie auf. Ich kenne keinen einzigen Fall, bei dem ein bindungsängstlicher Mann seine Frau mehr liebte, weil diese ein Kind von ihm erwartete. Im Gegenteil: Kinder treiben die Partner eher noch mehr in die Flucht. Außerdem belasten Kinder die Partnerschaft – weil sie den Eltern sehr viel Kraft und Energie abverlangen. Man könnte etwas provokant sagen, dass Eltern, die auch als Partner glücklich sind, dies sind, obwohl sie Kinder haben und nicht weil sie Kinder haben.
Mit Illustrationen von Kai Pannen
ISBN: 978-3-466-31038-8
erhältlich für 9,99€ im Kösel-Verlag