Mein Partner wird dement. Was passiert mit unserer Liebe?

Für ihn kommt das nicht in Frage. Dabei merkt er jetzt schon ab und zu, dass ich gereizter bin als früher, unruhiger. Ich wünsche mir für Hans und mich, dass wir die Zeit, die wir zusammen haben, auskosten, niemand weiß, wie viel Zeit wir noch haben. Ich kann bereits nicht mehr arbeiten, ich versuche, unser Zuhause schön zu gestalten, ich koche für Hans, früher hat er meistens gekocht. Ich möchte, solange es nur geht, meinen Teil für unser Glück beitragen.“

Wie funktioniert Liebe, wenn einer auf den anderen angewiesen ist?

Hans weiß, dass die glücklichen Tage gezählt sind, jetzt schon werden die Tage weniger, die völlig unbeeinträchtigt sind. Thea und Hans waren immer sehr aktiv, sie haben zusammen viel Sport gemacht. Thea hat zunehmend weniger Lust dazu. Hans sagt: „Ich merke, wie ich in solchen Momenten in dieses Muster zurückfalle und Thea liebevoll dazu bringen will, mit mir zu joggen oder schwimmen zu gehen. Carl erklärt mir dann wieder in aller Gemütsruhe, dass es zwar richtig ist, dass ich Thea motiviere, dass ich aber zusehen soll, dass wir solange wie möglich auf Augenhöhe sind, Thea und ich. Das wirkt sich positiv auf unsere Beziehung aus.

Ich bin froh, dass Carl mich begleitet, ich wüsste nicht, wie ich ohne ihn mit all dem fertig werden sollte. Man braucht einen, der von draußen auf die Liebe guckt, man selbst verstrickt sich einfach zu sehr. Ein Psychologe wäre für mich keine Option, ich brauchen einen Menschen, der etwas von Liebe versteht, nicht einen, der etwas von seelischen Krankheiten versteht. Carl sagt, es ist dieses Gefälle, das die Liebe schwierig macht, wenn einer pflegebedürftig wird und zuerst auf Unterstützung angewiesen ist und später nichts mehr allein kann, wenn die Beziehung also in eine Schieflage kommt. Kann Liebe funktionieren, wenn einer auf den anderen angewiesen ist?

Ich würde das bejahen, entschieden bejahen, ich würde sagen, genau das ist Liebe, dass man bleibt, wenn der andere einen braucht. Ich versuche, das Gebrauchtwerden für später aufzuheben. Irgendwann werde ich total gebraucht. Ich versuche, Thea in ihrer Selbständigkeit zu unterstützen, ihr die Würde zu lassen, sie nicht zu überreden, irgendetwas zu tun. Das ist echt nicht leicht. Was Sport angeht, weiß ich ja, wie wichtig Bewegung ist, um das Gehirn auf Trab zu halten, der Prozess von Alzheimer ist zwar nicht aufzuhalten, aber vielleicht zu verlangsamen. Aber wenn Thea nicht will, will sie nicht. Wir haben früher oft zu Hause getanzt, das machen wir jetzt auch noch oft. Thea ist am liebsten zu Hause, da fühlt sie sicher. Also joggen wir eben nicht, wir tanzen. Tanzen ist super gegen Demenz.“

 

 

Liebe ist: Aushalten, nicht mehr geliebt zu werden

Hans sieht kämpferisch aus, als er das sagt. Sein größtes Handicap ist nach wie vor, dass er es schier nicht aushält, rigoros zu akzeptieren, dass die spritzige Thea eines Tages dumpf vor sich hinstarrt, dass sie ihm nie wieder einen Liebesbrief schreibt, weil sie nicht mehr schreiben kann – und weil sie nicht mehr weiß, wer er ist. „Das ist für mich die schlimmste Vorstellung, dass Thea mich nicht mehr erkennt. Das ist fast egoistisch, dass ich hier an mich denke.

Es ist völlig okay, sagt Carl. Ich muss auch an mich denken. Es ist so schön mit Thea zusammen zu sein, von ihr geliebt zu werden. Ich muss mich darauf einstellen, dass es in unserer Beziehung so sein wird, dass ich der gewissermaßen der Haupt-Liebende bin und dass meine Liebe primär fürsorglich ist. Es wird darum gehen, dass ich vielleicht noch die kleinen Zeichen der Liebe erkenne, die von Thea kommen. Kein wortgewaltiger Brief mehr, aber ein Blick, eine Geste.

Und die Erinnerung an all die tollen Jahre, das wird mich auch tragen und stärken. Ich muss mir sagen, dass Thea nicht aufhört, mich zu lieben, sondern dass sie aufhört, sie selbst zu sein. Die Kunst ist es, dass mich von Thea verabschiede und trotzdem bei ihr bleibe. Ich bereite mich auf diese Herausforderung vor, ich nehme sie an.“


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