Die Gefahren einer besitzergreifenden Liebe

Bedeutet Liebe Verzicht? Ist Nähe eine Bedrohung? beziehungsweise-Autor Thorsten Wittke fragt sich, woher die Angst mancher Menschen vor Beziehungen kommt und möchte jenen Mut machen, sich auf eine Partnerschaft einzulassen

Mir fällt es schwer zu verstehen, warum Menschen in oder vor Beziehungen die Flucht ergreifen, wenn es darum geht, den nächsten Schritt zu machen. Sei es nun das Thema, den Beziehungsstatus zu ändern, zusammen zu ziehen, eine Familie zu gründen, ein Haus zu bauen oder was auch immer auf ein „Gemeinsam“ oder „Wir“ hindeuten könnte.

Mein Beziehungsmodell ist unendlich romantisch

Ich bin der festen Überzeugung, dass es gut und richtig ist, sich innerhalb einer Partnerschaft weiter und vorwärts zu entwickeln. Gemeinsam ein „Wir“ zu entwerfen und zu verfolgen, ist für mich Sinn und Zweck der Veranstaltung. Ich bin da aber auch unendlich romantisch und denke, dass eine Beziehung aufbauen, pflegen und erhalten zu den bedeutungsvollen Dingen des Lebens gehört.

Bei anderen Menschen erlebe ich immer wieder, dass der bloße Gedanke an eine gemeinsame Zukunft bereits Stresspickel und Unbehagen auslöst. Oft habe ich den Eindruck, dass ein Verurteilter seine Haftstrafe hoffnungsfroher antritt als jemand, der sich gedanklich damit auseinandersetzt, ob und wie seine Zukunft in einer Beziehung, unter einem gemeinsamen Dach, in einer Ehe oder mit einer Familie aussehen könnte.

Beziehung ist nicht Aufgabe von Freiheit und Abenteuer

Dieses Bild ist gar nicht so weit hergeholt. Denn wenn man genau hinhört, könnte man tatsächlich meinen, dass es sich nicht um ein gemeinsames Zukunftsprojekt handelt, sondern um die Aufgabe von Freiheit und Abenteuer. Nur ganz wenige erzählen davon, worauf sie sich freuen und was sie alles erhalten, wenn sie die nächste Stufe erklimmen. Meistens stehen Skepsis und Zweifel im Vordergrund. Die Angst davor, eingeengt und eingeschränkt zu werden, ist spürbar und übertüncht jedes gute Gefühl, das aufkommen könnte.

Solchen Delinquenten versuche ich Mut zu machen. Nicht alles, was auf Beständigkeit hinausläuft, bedeutet Einschränkungen und Druck. Auch wenn eine verbindliche Zusage uns fester an den Partner kettet und vielleicht länger an einer Partnerschaft festhalten lässt, bedeutet das alles nicht, dass wir Gefangener unseres Partners werden oder dass aus gut gemeinter Absicht und Liebe eine Kontrolle wird, die uns in der Beziehung erstickt. Wie bei allem anderen ist es an uns, was wir daraus machen und was wir mit uns machen lassen.

Auch in einem „Wir“ gehört der eine nicht dem anderen. Was sich ändert, ist, dass zwei Solisten mit getrennten Lebenswegen beschließen, ein gemeinsames Leben zu führen. Das bedeutet in erster Linie, sich zu lieben und sich füreinander einzusetzen. Den anderen zu nehmen, wie er ist, auch wenn man ihn an manchen Tagen auf den Mond schießen möchte (was vollkommen in Ordnung ist).

Es geht darum Verantwortung zu übernehmen

Liebe ist eine Wahl und kein Vertrag. „Gemeinsam“ bedeutet Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Partner und die Beziehung. Vertrauen haben und erhalten. Die feste Absicht verfolgen, miteinander zu leben, den Anderen zu halten und gehalten zu werden und an den Aufgaben zu wachsen, auch auf die Gefahr hin, dass ein Scheitern möglich ist.

Wer sich in einer Beziehung gefangen fühlt, sollte sich und seine Einstellung kritisch hinterfragen. Meist stecken die Ursachen für unsere Ängste in unserer eigenen Geschichte. Möglicherweise haben wir erlebt, wie sich unsere Eltern getrennt haben oder unsere Großeltern es unglücklich miteinander ausgehalten haben, weil die Umstände es nicht anders zugelassen haben. Eventuell erleben wir in unserem Umfeld immer wieder, wie Menschen sich trennen und dabei Rosenkriege führen oder haben selbst schon schlimme Trennungen hinter uns.

Was wir uns dann vor Augen führen müssen: Das alles sind nicht wir. Das ist nicht unsere Beziehung und es liegt ganz allein an und in uns, was wir aus dem machen, was wir vorfinden. Wichtig ist es, aus den eigenen und den Fehlern der anderen zu lernen, eine positive Einstellung zu haben und den Wunsch, dass ein „Wir“ funktioniert. Dann hat man etwas, worauf man sich freut, auf das man sich verlassen kann und fühlt sich nicht wie ein Gefangener.


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