Liebe muss nicht für immer halten, um echt zu sein

Liebe, die nicht für immer hält oder in einer Hochzeit endet, ist nicht echt? Nein, sagt unsere Autorin Jana Seelig und rät dazu, zu hinterfragen, wie wir Beziehungen bewerten.

Woran denkst du, wenn du das Wort „Liebe“ hörst? Ich denke an meine Großeltern, die über 50 Jahre verheiratet und mehr als 60 Jahre in einer Beziehung waren, bevor sie beide kurze Zeit hintereinander verstorben sind. Sie galten für mich lange Zeit als „relationship goal“. Nicht nur, weil sie mir immer eine sehr positive Form von Ehe und Liebe vorgelebt haben, sondern auch, weil ich glaubte, dass es genauso aussehen muss wie bei den beiden, wenn man sich wirklich liebt. Und bei so viel Positivem, was ich aus der Beziehung zwischen den beiden rausziehen konnte, gab es auch eine negative Seite: Ich verglich meine eigenen Beziehungen mit dem, was sie hatten. Und ich dachte lange Zeit, dass die „wahre Liebe“ mir nicht vergönnt war, weil meine Beziehungen nach drei Monaten oder drei Jahren zu Ende gingen und eben nicht für immer hielten. 

Doch wer legt eigentlich fest, ob Liebe „echt“ oder „unecht“ ist?

Wenn es nicht die „wahre Liebe“ war, war eine Beziehung dann etwa „unwahr“? Es ist doch so, dass Partnerschaften in unserer Gesellschaft in allen erdenklichen Formen auftauchen und einzig und alleine wir selbst darüber entscheiden, wen wir auf welche Art lieben. Immer mehr Beziehungen folgen nicht mehr den traditionellen Meilensteinen wie Hochzeit, Haus und Kind. Und das ist auch gut so. Dennoch sind wir natürlich geprägt von solchen Traditionen und neigen dazu – ob wir das wollen oder nicht – Partnerschaften, die anders aufgebaut sind und ausgelebt werden, abzuwerten.  

Auch bei mir hat es lange gedauert, mich von dem Gedanken zu lösen, dass eine Beziehung, die nicht in einer Ehe endet, genauso wertvoll ist wie „das Komplettpaket“ mit Haus und Kind. Als ich noch jünger war, dachte ich, dass ich meinen ersten richtigen Freund mit spätestens 23 Jahren heiraten würde. Mehr als 10 Jahre später habe ich mich als bisexuell geoutet. Ich lebe seit langer Zeit in einer offenen Beziehung, habe dem Heiraten abgeschworen und will – genau wie damals – noch immer keine Kinder. Ich bin glücklich. Und wenn man mich fragen würde, ob es die „wahre Liebe“ ist, wäre meine Antwort ohne zu zögern „Ja. Doch das macht meine anderen Lieben nicht weniger wahr!“. 

Es gibt keinen „richtigen“ und keinen „falschen“ Weg, eine Partnerschaft zu führen.

Wie wir lieben und uns lieben lassen wollen, entscheiden alleine wir selbst. Liebe muss nicht für immer halten, um echt zu sein. Tatsächlich enden sehr viele Beziehungen – darunter auch solche, die bereits mit einer Ehe und Kindern einhergingen. Insbesondere Scheidungen sind noch immer mit sehr viel Scham behaftet – für Frauen in der Regel sogar noch mehr als für Männer.  

Doch wenn eine Beziehung, eine Ehe endet, dann heißt das nicht, dass man versagt hat. Weder als Partner*in noch als Elternteil. Wenn eine Partnerschaft zu Ende geht, heißt das nicht zwangsläufig, dass man nicht gut füreinander war. Oder dass die Jahre, die man miteinander verbracht hat, nur Zeitverschwendung waren. Es mag sich im ersten Moment vielleicht so anfühlen, doch es kann helfen, ein Beziehungsende aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. 

Etwas zu „beenden“ ist nämlich nicht immer etwas Schlechtes.

Denk zum Beispiel an das letzte Buch, das du „beendet“ hast und alles, was du daraus mitnehmen konntest. Ich denke, bei Beziehungen ist das ganz ähnlich. „Beenden“ kann eben auch bedeuten, dass wir etwas komplettiert haben und nun bereit für etwas Neues sind. Wieso also diese Art der Sichtweise nicht auch auf Partnerschaften anwenden?  

Es gibt Menschen, die in Langzeitbeziehungen leben. Es gibt Menschen, die viele kurze Beziehungen hintereinander haben und auch Menschen, die stattdessen auf rein sexuelle Begegnungen setzen. Manche Personen stürzen sich von einer Liebelei in die nächste, andere bleiben nach einer Trennung erst einmal sehr lange Single. All diese Formen von Liebe, Partnerschaft und Intimität sind valide. Alle bringen ihre eigenen Erfahrungen mit sich, die uns formen und auch wachsen lassen.  

Was wir aus all den verschiedenen Erfahrungen, die wir mit dem Thema Partnerschaft im Laufe unseres Lebens machen (ob, nun selbst, weil es uns jemand vorlebt oder wir es nur in Filmen gesehen haben) mitnehmen können? Beziehungen müssen nicht für immer halten, um valide zu sein. Beziehungen müssen nicht monogam sein, damit man von echter Liebe sprechen kann. Beziehungen, die keine Hochzeit oder Kinder beinhalten, sind genauso echt wie Beziehungen, die zu Heirat und Nachwuchs führen. Und Beziehungen, die bereits lange halten und die von außen bewundert werden, können in der Realität durchaus lieblos sein. 


Weitere interessante Beiträge
"Twilight", "Lost" und Co.: Wie Filme Liebesdreiecke instrumentalisieren
Weiterlesen

Toxischer Wettbewerb: Wie Filme und Serien Liebesdreiecke instrumentalisieren  

Eine gute Geschichte lebt von reichlich Liebesdrama. Zwei Protagonist:innen verlieben sich ineinander, kommen über Umwege zusammen, bewältigen Abenteuer, dramatische Krisen und am Ende wartet das Happy End. Doch was, wenn aus zwei plötzlich drei werden? Es folgen Eifersucht, Konkurrenz und am Ende der große Liebesbeweis. Wie Liebesdreiecke in Filmen und Serien funktionieren, und warum sie so gefährlich sind