Wer sitzt wohl am Steuer meiner Generation?

Treffen wir unsere Entscheidungen eigentlich noch selbst? Thorsten Wittke denkt darüber nach, wer uns verführt – und weshalb wir uns verführen lassen

Tagtäglich verbringen wir sehr viel Zeit damit, uns über belanglose Dinge den Kopf zu zerbrechen, wir planen und organisieren unser Leben und bemühen uns, das Beste aus unserer Freizeit zu machen.

Entscheidungen über die Liebe treffen wir dagegen zwischen Tür und Angel. Sollten wir für so eine wichtige Entscheidung wie unser Lebensglück, nicht einfach mal die Dinge selbst in die Hand nehmen und mehr Zeit und Energie dafür aufwenden, den künftigen Lebenspartner zu finden?

Immer öfter stelle ich mir die Frage, ob wir Opfer der uns gebotenen Möglichkeiten sind und ob das der Grund dafür ist, dass wir nicht mehr zu längerfristigen Beziehungen in der Lage sind. Sind wir selbst oder andere Schuld daran – oder anders gefragt: „Wer sitzt eigentlich am Steuer unserer Generation?“

Die Auswahl beim Metzger dauert länger als ‘wisch & weg’

Clevere Geschäftemacher haben uns als  Zielgruppe für sich entdeckt und bieten uns eine tolle bunte Welt voller vielfältiger Verlockungen. Dating-Apps bieten uns die Chance mit einem einzigen Daumenwischen über unser Glück zu entscheiden. Es gibt Millionen Mitglieder, die den Markt der Möglichkeiten bilden. Sorgfältig eingestellte Suchfilter sind uns dabei behilflich, mögliche Fehlgriffe schon im Vorfeld auszuschließen und uns den potentiellen Traumpartner wie in einem Katalog zusammen zu stellen. Da aber auch hier gelogen wird, dass sich die Balken biegen, werden die Teilnehmer immer wieder zurück in den Kreislauf geworfen, um neuerlich an der Verlosung teilzunehmen.

Keinem von uns wird scheinbar die Absurdität der Idee, die hinter diesem Konzept steht, klar. Sind wir wirklich so oberflächlich geworden, dass uns ein einziger 3-Sekunden-Blick auf ein Foto reichen kann, um darüber zu entscheiden, ob dieser Mensch hinter dem Foto ein zukünftiger Partner sein könnte?

Wenn ich beim Metzger vor der Auslage stehe und mir mein Hähnchenschnitzel für das Abendessen aussuche, wende ich mehr Zeit für die Auswahl des richtigen Fleischstückes auf – und da ist noch nicht die Zeit mit eingerechnet, die ich im Laufe des Tages mit der Frage verbracht habe, was ich heute Abend essen werde. Bleibt die Frage, bei welcher Fleischbeschau warten die heftigeren Magenschmerzen auf mich?

 

Trotzdem beteiligen sich täglich mehr Menschen an dieser Art der Lotterie, an der keiner von uns teilnehmen würde, wären sie nicht gerade hip, trendy und einfach. Die App ist schnell installiert und in Phasen der Langeweile sehr kurzweilig. So wird die Wahl eines Partners immer beliebiger und der Stellenwert einer Beziehung immer weiter herabgesetzt. Wenn sich herausstellt, dass unser Gegenüber doch nicht das ist, was wir uns vorstellen, geht es zurück ins Kampfgetümmel und das Spiel beginnt von vorne.

Auch die Macher von Ü30, Ü40, oder Ü-irgendwas Partys verdienen sich eine goldene Nase. Mit geringem Aufwand werden große Räume gemietet, ein DJ reingestellt und bei teurem Eintritt und billigem Alkohol kann man sich anschauen, was noch auf dem Markt ist. Aber auch hier sind die Möglichkeiten eher begrenzt. Zum einen weiß man auf der Tanzfläche nicht, ob das Objekt der Begierde wirklich zu haben ist, zum anderen stellt uns auch hier das Überangebot der Möglichkeiten vor das unlösbare Problem und die Frage, ob nicht an der nächsten Bar schon etwas Besseres auf uns wartet. Im Laufe des Abends lichten sich dann die Reihen und so wird es interessant zu beobachten, wie mit Fortschreiten der Nacht die paarungsbereiten Menschen immer hektischer umeinander zu kreisen beginnen, um nicht allein nach Hause gehen zu müssen. Die Kombination aus Alkoholkonsum, Feierlaune und ablaufender Zeit ist dann schon mal ein denkbar schlechter Ratgeber und so ist der Kater am nächsten Morgen manchmal das kleinere Problem, das uns den Tag vergällt.


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