Ich fühlte mich so schrecklich einsam

Ergreifend schildert unser anonymer Gastautor seinen langen Kampf mit der Einsamkeit

Da war Melissa. Und dann war sie nicht mehr da. Fortan wachte ich morgens alleine auf. Sobald ich die Vorhänge aufgezogen hatte, fiel Licht auf mein leeres, verschwitztes Bett. Das Getrampel des Pärchens in der Wohnung über mir brachte mich fast zur Weißglut. Melissa war weg und unser schleichendes Aneinander-Sterben hatte mich kaputtgemacht. Mein Kopf war voll von wirren Gedanken, von Zweifeln, Reflexionen unserer Beziehungswirklichkeit, verdreckten Gefühlen und allerlei anderem Mist. Ich blieb an ihr haften, doch das klebrige Etwas war nicht mehr sie. Ich konnte das alles nicht mehr. Die Tage vor dem Aus waren die schlimmste Zeit meines Lebens gewesen. Aber das Aus lehrte mich, dass es etwas Schlimmeres als das Schlimmste gibt.

Fortan wachte ich also alleine auf. Im Kleiderschrank hing ein Kapuzenpullover von mir, den Melissa manchmal an kalten Tagen getragen hatte. Ohne Sinn und Verstand machte ich den Fehler, ihn mir ins Gesicht zu pressen und die Reste ihres wunderbaren Geruchs einzusaugen. Wieder und wieder. Doch jeder Melissa-Flash machte mich nur noch trauriger. Das Ganze war so bitter und die abgestandene Luft im Zimmer wollte einfach meine laschen Lungenflügel nicht mehr füllen.

Die ersten Tage lag ich reglos auf dem Bett und hasste. Still tat ich das, nicht einmal meine Freunde bemerkten es. Ich hasste Melissa und ich hasste auch mich dafür, dass ich sie nicht laut hasste. Eine Enttäuschung ist etwas, das man sich vielleicht irgendwann, sehr viel später, als Ernüchterung schönreden kann. Ernüchtert sein ist ja eigentlich etwas Gutes, denn Ernüchterung ebnet den Weg für einen Neuanfang. Daraus kann man lernen, wenn man denn will. Aber damals war da einfach nur dieses verdammte Gefühl, jahrelang in einer Lüge gelebt zu haben. Und Wut, weil das die schreckliche Wahrheit war.

Der stille Hass zehrte mich aus, raubte mir Tage, Wochen und auch so manches Kilo. Manche fangen nach so einer Geschichte ja an, wie wild zu fressen, alles in sich hineinzustopfen. Das hilft vielleicht eine Weile. Aber es verhindert nicht, dass man das Andere, das so sehr wehtut, weiter in sich hineinfrisst. Der Fettschutzpanzer rettet leider unser Herz nicht, denn das ist bereits zerquetscht worden.

Bei mir aber war das wie gesagt andersherum. Ich aß kaum noch, starrte dafür umso mehr – an die Wand, in die Ferne, auf Tauben am Bahnsteig, die tippelnd nach Brotkrumen suchten. Im schlimmsten Fall auf die Uhr an der Wand. Aber durch meinen Blick änderte sich nichts. Melissa war fort.

Und aus dem langsam verreckenden Hass kroch irgendwann der Schmerz, der eigentlich schon die ganze Zeit dagewesen sein musste. Das fühlte sich an, wie in eine brechende Welle zu geraten, am Strand eines nördlichen Landes, im Winter, bei Sturm. Die Welle bricht und du mit ihr. Das kann man gar nicht aufhalten. Dann wird der Körper durchgeschüttelt, schluckt man Salzwasser und wird hinausgezogen aufs offene Meer.

Das Wunder ist nur: Das geht meistens gut. Wir kehren an den Strand zurück, irgendwie. Doch dieses Gutgehen fühlt sich noch lange nicht gut an. Es heißt einfach nur, dass das Leben weitergeht und Zeit verstrichen ist. Und zusammen mit der Zeit hat sich das Wetter geändert, ist der Sturm abgeflaut. Auf Regen folgt eine regenfreie Zeit. Das geht gar nicht anders. Aber die Welle gibt es nicht mehr und das Herz ist und bleibt verletzt. Selbst eine Heilung kann nichts ungeschehen machen.


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