Ich fühlte mich so schrecklich einsam

Das war dann meine Zeit der Einsamkeit. Dieses zurück an den Strand schwimmen. Anfangs sah ich das Ufer gar nicht und versuchte trotzdem verzweifelt, nicht unterzugehen. Es war eigentlich sinnlos; aber wer gibt in einem solchen Moment schon einfach auf? Etwas in uns ist dagegen und hofft. Bis dann das Land in den Blick gerät.

Wenn ich mich an diese Wochen zurückerinnere, treibe ich auf dem Rücken liegend auf dem weiten Ozean. Das Wasser ist grau wie der Himmel. Und unter diesem trostlosen Grau treibt schwer die Dunkelheit und ich weiß, dass sie nicht fern ist, weiß, dass da ein Abgrund lauert, eine Tiefe, die nicht für uns Menschen gemacht ist, die uns zu verschlucken droht, dass da tausende furchterregende Wesen schwimmen, tauchen und dass ich oben bleiben muss, meine Brust rausstrecken, mich halten, an der Oberfläche, an der Luft, an der Grenze zwischen Himmel und Wasser und dass ich mich nicht aufgeben darf, auch wenn meine Muskeln mit jeder Minute schwächer werden und mir die Kälte die letzte Kraft entzieht.

Meine Melissa war nicht mehr da.

Ich trieb durch die Tage, die mein Leben darstellten. Da waren plötzlich überall Löcher, wo früher keine gewesen waren, dunkel und groß. Es konnte passieren, dass ich beim Anblick eines Restaurants, in dem ich früher einmal mit ihr gegessen hatte, in Tränen ausbrach. Wir hatten fast sechs Jahre lang unsere Herzen miteinander verknotet und gedacht, dass der Knoten halten würde. Das tat er auch, aber das Tau war gerissen. Herzknotenreste von ihr hingen noch an meiner Seele und schabten mit ihren rauen Fasern über deren erstaunlich zarte Haut.

Ich fing an, zu schreien. In meinen Träumen, die dunkel waren. Und manchmal war mein eigener Schrei das erste, was ich an einem ewiggleichen, leeren Tag hörte. Nicht ihr Atem. Nicht ihre Stimme. Nicht ihr Ichliebedich. Nicht mehr und nie wieder.

Ich fühlte mich betrogen. Und ich war betrogen worden, von einem Schicksal, das das meine umklammert und aus der Bahn gerissen hatte. Rum ertränkte nichts, Gin füllte nichts in mir. Es gab Arme, die mich halten wollten in diesen Wochen und ich bin ihnen ewig dankbar dafür. Aber eines lernte ich. Ich musste schwimmen. Ich musste es selber tun. Das Schwierigste und zugleich das, was am meisten Not tat, konnte nur von mir selber kommen.

Und genau das tat ich dann. Irgendwie. Schwimmen, im Schmerz und gegen den Schmerz an. Und dadurch ertrank er, sank langsam in die Tiefe hinab; und eines Tages streckte ich mein Bein aus – und fühlte tatsächlich Sand.


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