Unsere Tochter liebt den falschen Mann

Er ist arm, sie ist reich. Dieses Paar kommt aus völlig unterschiedlichen sozialen Verhältnissen. Sorgt ein solcher Unterschied früher oder später immer für Probleme, braucht es nur einen Anlass, und die Bombe platzt?

Marlene und Rüdiger sind ein Paar aus der Liga „gleich und gleich gesellt sich gern“, das ist der erste Eindruck, den die beiden vermitteln. Sie haben die gleichen Interessen und Werte, die gleichen Ziele. Sie sind sich sogar äußerlich ähnlich, beide Ende 40, beide groß und schlank, dunkelhaarig, gut geschnittene Gesichter, meistens sportlich gekleidet, es sei denn, das Paar geht in die Oper. Die Gleichheit und Stimmigkeit gilt auch für den Blick auf die Kinder Louisa und Leo, auf den respektvollen Umgang mit ihnen.

Das Einzige, was bei Marlene anders ist als bei Rüdiger: Sie stammt aus einem richtig guten Milieu, Rüdiger dagegen aus Arbeiterverhältnissen. Marlenes Eltern sind beide Professoren, hochgradig kultviert und gebildet. Und schwer reich. Marlene würde das nie von sich selbst behaupten, dass sie aus einem „guten Stall“ kommt, der Ausdruck würde sie eher aufregen, weil sie ihn überheblich findet. Rüdiger hat den Ausdruck einmal verwendet. Er meinte es nicht abwertend, er meinte es liebevoll-ironisch.

Herkunft aus einem “guten Stall”

Rüdiger fühlt sich Marlene nicht unterlegen, er ist ausgesprochen stolz auf das, was er erreicht hat. Ohne häusliche Förderung ist er kometengleich zum erfolgreichen Anwalt aufgestiegen, mit einer Frau an seiner Seite, die schön und klug und ebenfalls erfolgreich ist. Marlene hat Psychologie studiert und arbeitet in einer Kinderklinik als Therapeutin.

Seit einiger Zeit wird es immer öfter laut im Haus der Familie. Tochter Louisa, die in einer anderen Stadt Jura studiert, genauso erfolgreich wie ihr Vater und mit Aussicht auf eine große Karriere, hat einen Freund, Jannik. Sie liebt ihn sehr, sie meint es ernst mit ihm. Jannik ist aus der Sicht von Rüdiger ein totaler Versager. Der junge Mann hat ebenfalls Jura studiert, das Studium aber nach vier Semestern abgebrochen. Jetzt fährt er Taxi und schreibt ein Buch, er möchte Schriftsteller sein. Rüdiger hasst Jannik fast, er ist in größter Sorge, dass Louisa ihn „durchschleppen“ muss, wenn die beiden zusammenbleiben. Louisa meint dazu ungerührt, Jannik könnte ja später den Haushalt und Kinder schmeißen. Jannik spricht sogar schon vom Heiraten und betrachtet Louisa als sein Eigentum – das findet Rüdiger. Marlene dagegen ist begeistert von Jannik, sie findet es toll, wie er sich zu Louisa bekennt, wie mutig er ist und sein „eigenes Ding“ durchzieht. Sie lobt, dass er die Selbstfindung der Karriere vorzieht. Und sie unterstellt Rüdiger, dass er, der sein Leben lang darauf erpicht war, aus seinen bescheidenen Verhältnissen herauszukommen und dabei auch Federn gelassen hat, es nicht aushält, in Jannik mit einem sogenannten Lebenskünstler zu tun zu haben, dem Prestige völlig egal ist, der deshalb richtig souverän ist.

Lässt sich Ehrgeiz vererben?

Marlene sagt: „Seit es Jannik gibt, habe ich das Gefühl, dass Rüdiger in keiner Weise überwunden hat, dass ihm von zu Haus aus nichts in den Schoß gefallen ist, dass er um alles kämpfen musste und deshalb missgünstig ist, wenn jemand das Leben leichtnimmt. Am schlimmsten finde ich, dass Rüdiger versucht, Jannik Louisa auszureden. Das ist eine respektlose Grenzüberschreitung! Er tut es aber nicht offen, er macht es indirekt. So fies habe ich Rüdiger noch nie erlebt. Wenn Louisa und Jannik bei uns sind, kommt mein Mann ständig darauf zu sprechen, wie ehrgeizig und zielgerichtet ehemalige Mitschüler von Louisa sind, er preist sie an wie ein Heiratsvermittler. Und er stellt Jannik bloß, er fragt ihn zum Beispiel, ob es schon einen Verlag für sein Buch gibt und wie viel Vorschuss er kassiert hat, obwohl er genau weiß, dass Jannik gerade mit dem Schreiben angefangen hat. Rüdiger löchert Jannik mit der Frage, was er gedenkt zu tun, wenn das alles nichts wird mit dem Buch. Ob das Taxifahren dann eine Option für seine Lebensplanung sei?“

Marlene stockt, ihr kommen die Tränen: „Es ist schon passiert, dass wir uns dann vor den Kindern gestritten haben, was früher nie passiert ist. Ich habe Rüdiger in solchen Situationen gefragt, ob er nicht sehen kann, dass es wirklich noch etwas anderes gibt im Leben als Karriere. Das ist dann am Ende in einer Diskussion geendet, in deren Verlauf wir mit Louisa und Jannik generell über den Sinn eines erfüllten Lebens gesprochen haben, es ging also noch einigermaßen friedlich aus.“


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