Die Männer auf meiner Couch. Ein Buchauszug

Wahre Fälle einer New Yorker Sextherapeutin. Die amerikanische Sexualtherapeutin Brandy Dunn beleuchtet die Schattenseiten der männlichen Sexualität. Ein Buchauszug

Ich hatte geglaubt, mich mit der Liebe gut auszukennen. Ich meinte zu wissen, wie sie sich anfühlt, wie sie aussieht, wie sie duftet. Ich war vertraut mit ihr. Natürlich war die Liebe romantisch. Im Grunde hatte ich eine andauernde Liebesaffäre mit ihr. Ich hatte einige Männer geliebt, aber eigentlich galt meine Loyalität der Liebe selbst. Im Lauf der Jahre hatte ich eine besondere Fähigkeit entwickelt, die Euphorie der romantischen Liebe zu pflegen. Ich hatte eigentlich immer einen Partner, und ich konnte jederzeit mit jedem Mann, der mir geeignet schien, die Illusion der Liebe pflegen. Es war mir gelungen, viele Männer in meinem Netz zu fangen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sich mir ein Mann mit bösen Absichten nähern würde, und ich strahlte nicht ganz unbewusst eine gewisse jungfräuliche Unschuld aus, die bei den meisten Männern die Neigung weckte, mich zu beschützen und zu umhegen. Um diese Vorstellung aufrechterhalten zu können, wollte, ja musste ich glauben, dass die Männer ebenso romantisch dachten wie ich.

In der zweiten Therapiesitzung mit David kam ich auf seine Frage zurück.

»Sie fragen sich also, ob Sie fähig sind zu lieben?«

»Ja. Vielleicht liegt es daran, dass ich jede Beziehung sabotiere, indem ich meine Partnerin mit Frauen betrüge, zu denen ich keine Beziehung haben will – in die ich mich nie verlieben könnte. Finden Sie das sonderbar?«

»Glauben Sie, dass es sonderbar ist?«

»Sonderbar ist, dass ich diese Frauen mit meiner Freundin vergleiche, obwohl sie mir nichts bedeuten.«

»Was vergleichen Sie? Den Sex?«

»Nein, eigentlich nicht. Ich stelle mir vor, wie es wäre, mit ihnen zusammen zu sein.«

Diese Antwort überraschte mich, und David nahm die Frage vorweg, die ich nun stellen wollte.

»Ich möchte wirklich sesshaft werden und heiraten. Meine finanzielle Situation ist stabil, und alle meine Freunde heiraten und bauen sich große Häuser in Westchester und New Jersey … Ich will einfach die tollste Frau und das größte Haus.«

Zwischen den Therapiesitzungen dachte ich über Davids Konkurrenzdenken nach. Er sagte, dass er sich von den Frauen, deren Telefonnummern er sammelte, nicht unbedingt angezogen fühlte – dass ein Mann eine Frau erobern will, bedeutet nicht immer, dass sie ihn erregt. Er kann sie sogar als unattraktiv empfinden. Das weckte bei mir den Verdacht, dass es bei seinen nämlichen Jagdausflügen eigentlich nicht um Frauen ging, sondern eher um den sportlichen Wettbewerb mit seinen Freunden: Die Schürzenjagd gehörte vielmehr zu seinem Sozialverhalten, sie war Teil seiner Beziehung zu anderen Männern.

David bestätigte meine Ahnung, als er mir erzählte, dass er mehrere Brüder hatte und aus einer Familie stammte, in der sich alles um Leistung und Erfolg drehte. Das war genau die Umgebung, die rastlose Perfektionisten oder Menschen hervorbringt, die unter Druck zusammenbrechen. David war vom Erfolg besessen. In der Schule war er Quarterback der Football-Mannschaft gewesen. Jetzt setzte er seine strategischen Fähigkeiten an der Wall Street als Leiter eines erfolgreichen Hedgefonds ein. Er arbeitete achtzig Stunden in der Woche. Ich kannte noch mehr Männer, die in dieser Branche tätig waren. Einige von ihnen bauten den Druck mit Kokain und russischen Prostituierten ab. David schien nicht zu dieser Sorte zu gehören.

»Es gefällt mir nicht, für Sex zu bezahlen«, sagte er. »Ich mag es, Frauen zu erobern, die schwer zu bekommen sind.« Aber wenn sie sein Interesse erwiderten, besaß David nicht genug Empathie oder soziale Intelligenz, um zu verstehen, was seine »Beute« empfand: Begeisterung über die Begegnung mit einem gut aussehenden und gut situierten Mann, die Verlockung einer guten Partie, die Hoffnung, sein Interesse zu finden, und möglicherweise auch ein wenig Angst, da es in der Stadt viel mehr Frauen als Männer gab.

Ich wollte David vor Augen halten, wie sich die von ihm gejagten Frauen vermutlich fühlten. Ich wollte, dass der Jäger die Dinge mit den Augen des Gejagten betrachtete. Also rückte ich meinen Stuhl näher an die Couch, um Verbundenheit mit ihm zu signalisieren: »David, was ist, wenn eine Frau, mit der Sie flirten, das Interesse an Ihnen nur vortäuscht?«

Er schmunzelte. Dieser Gedanke schien ihm nicht sehr plausibel.

»Was, wenn die Frau in Ihnen nur ein riesiges Dollarzeichen sieht und darüber nachdenkt, wie sie diesen Mann dazu kriegen kann, dass er mit ihr einkaufen geht oder sie auf eine Reise mitnimmt? Was, wenn das ganze Geplänkel an der Bar eine Täuschung ist, wenn beide Seiten einander etwas vorspielen?«

Er schwieg. Ich sah in seinem Gesichtsausdruck, wie ihm langsam die Antwort klar wurde. Es war ein Ausdruck der Furcht. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, dass eine Frau, die Interesse an ihm zeigte, möglicherweise keine redlichen Absichten hatte. Er war darauf angewiesen, dass sie ihn begehrte, und wenn er dieses Begehren bei einer Frau sah, konnte es nicht vorgetäuscht sein. Sein Selbstwertgefühl hing davon ab.

»Es ist wichtig für Sie, dass die Frau Sie wirklich begehrt«, sagte ich, um ihm unmissverständlich klarzumachen, was er bisher nicht gesehen hatte.

Seine Körpersprache begann sich zu verändern. Seine Wangen wurden rot – Besorgnis und Scham traten hervor. Er hob einen Arm und führte die Hand ans Kinn. Er runzelte die Stirn, sein Fuß tippte in einem nervösen Stakkato auf den Boden. Ich beobachtete, wie langsam die Luft aus seinem aufgeblasenen Ego entwich. Plötzlich zweifelte er am Wert der nächtlichen Eskapaden, die ihm so viel bedeutet hatten.

Ich wechselte meine Sitzhaltung und senkte den Blick, um den Druck zu verringern. Als ich wieder nach oben schaute, sah ich Wut in Davids Gesicht: schachmatt. Aber ich fühlte mich nicht als Siegerin. Stattdessen wurde meine Geringschätzung von einer Welle warmer Anteilnahme weggeschwemmt. Mir wurde klar, dass er litt. Zum ersten Mal empfand ich Mitgefühl für David.

»Was geht jetzt in Ihnen vor?«, fragte ich.

»Nichts«, stieß er barsch hervor. »Ich muss gehen. Ich habe in einer halben Stunde einen Termin.« Als er die Praxis verließ, war ich mir nicht sicher, ob ich ihn wiedersehen würde.

Tipp zum Weiterlesen: Wir haben mit der Autorin Brandy Dunn ein Interview über die Schattenseiten der männlichen Sexualität geführt.

Brandy Dunn, David Rensin
“Die Männer auf meiner Couch”
320 Seiten
ISBN: 978-3-492-30269-2
erhältlich bei PIPER

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