Bindungsstörung? Vermutlich nicht

Du willst mehr Nähe, dein Partner lieber mehr Distanz? Du hast Verlustangst, er Bindungsangst? Leidet ihr nun unter Bindungsstörungen? Entspannt euch, ziemlich sicher nicht, weiß beziehungsweise Chefredakteur und Paarberater Eric Hegmann

Zur Veranschaulichung hier nun ein modernes Modell dieser Theorie, wie es von Amir Levine und Rachel Heller in der Therapie genutzt wird, basierend auf den Forschungen von Brennan, Clark und Shaver. Danach lässt sich fast jeder Mensch zu einem dieser drei Bindungstypen zuordnen:

Der ängstliche Beziehungstyp

Der ängstliche Beziehungstyp braucht viel Nähe und sorgt sich, ob sein Partner ihn genug liebt. Wenn er sich zurückgewiesen fühlt, verstärkt er seine Bemühungen, denn er glaubt, Liebe müsse man sich verdienen. (Etwas über 20 Prozent der Bevölkerung)

Der vermeidenden Beziehungstyp

Der vermeidenden Beziehungstyp setzt Intimität und Nähe mit dem Verlust seiner Unabhängigkeit und Autonomie gleich und hält Distanz – letztlich um nicht verletzt zu werden. Er sehnt sich nach Nähe, aber gleichzeitig benötigt er Abstand. Charakteristisch ist, dass er dadurch zweideutige Signale sendet. (Etwas unter 20 Prozent der Bevölkerung)

Der sichere Beziehungstyp

Der sichere Beziehungstyp fühlt sich mit Nähe wohl, kann auch Distanz gut ertragen und ist in der Lage, stabile Partnerschaften zu führen. Sein besonderes Merkmal: Er ist fast immer in Beziehungen und selten Single. (Gut 50 Prozent der Bevölkerung)

Diese Bindungstypen sind unterschiedlich in ihren Verhaltensweisen und ihren Strategien, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen, stellen aber keine Bindungsstörungen dar. 

Fazit: Ihr seid – höchstwahrscheinlich – nicht bindungsgestört, ihr passt nur nicht zusammen!

Das Gegenteil von Klammern ist die Flucht vor zu viel Nähe oder Bindungsangst. So wie manche Menschen auf eine traumatisch erlebte Trennung mit einem Plus an Verlustangst reagieren und dann die Reaktion Klammern zeigen, versuchen andere diese Gefühle dadurch zu vermeiden, dass sie erst gar nicht mehr jemanden an sich heranlassen. Denn wenn keine enge Bindung aufgebaut wird, dann kann eine erneute Trennung ja auch nicht mehr so schmerzhaft werden wie die davor, so denken sie. Dieser Pessimismus, den viele Betroffene eher als Realismus bezeichnen würden, ist jedoch ein wahrer Beziehungsverhinderer, denn er lässt eben niemals wirklich Nähe zu. 

Menschen mit Bindungsangst sind deshalb auch Künstler der Vermeidung. Oft beherrschen sie diese so gut, dass sie selbst nicht wissen, wie sehr sie ihre Beziehungen sabotieren. Experten sprechen hier auch von „passiver Beziehungsangst“. Aber sind sie bindungsgestört? Maximal im Sprachgebrauch, im medizinischen Sinne liegt höchstwahrscheinlich kein pathologischer Fall vor.

Beziehungsstörung oder wenig Beziehungspotential?

Und ja, es gibt Menschen, die verfügen über weniger Beziehungspotential, aber „beziehungsunfähig“ oder gar „bindungsgestört“ sind sie dennoch nicht. Sie stellen allerdings für viele andere Menschen keine besonders erfüllenden Beziehungspartner dar.


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