Papa, ich verzeihe dir

Als unsere Autorin ein Baby war und im Krankenhaus um ihr Leben kämpfte, verließ ihr Vater die Familie. Im Alter von 20 Jahren erfuhr sie, was damals alles passiert ist und brach den Kontakt zu ihrem Vater für fast ein Jahr ab. Heute ist unsere Autorin 30 Jahre alt und reflektiert die schwierige Vater-Tochter-Beziehung in einem Brief.

Lieber Papa,  

Jetzt haben wieder wochenlang nichts voneinander gehört. Was Du wohl gerade machst? Im Ausland wirst Du wohl nicht umherreisen, das macht das Virus uns allen leider erstmal nicht möglich. In normalen Zeiten war das Reisen ja dein liebstes Hobby. Atemberaubende Landschaften und fremde Kulinarik entdecken, davonlaufen… Ja, ich denke, das Reisen ist für dich auch eine Art Flucht.  

So wie damals. Als ich als kleines, zerbrechliches Würmchen im Krankenhaus um mein Leben kämpfte. Elf Wochen zu früh geboren, gerade einmal zarte 900g leicht und durch Schläuche künstlich beatmet. Mit einem posthämorrhagischen Hydrozephalus*. Meine Mutter, mein Großvater, selbst meine Tagesmutter saßen nahezu täglich an meinem Brutkasten*. Und wo warst Du? Du bist, mal wieder, geflohen und hast deine Familie im Stich gelassen. Du hast mich im Stich gelassen, deine kleine Tochter. An meinem zweiten Geburtstag sahen Bekannte der Familie dich mit deiner neuen Freundin auf einem Volksfest. Was soll man dazu sagen? Es macht sprachlos.  

Ein echter Papa warst du nie

Trotz allem war meine Mutter immer bemüht, mir den Kontakt zu dir zu ermöglichen. Seit ich eingeschult wurde, sahen wir uns einmal wöchentlich, wenn du mich abholtest, wir gemeinsam Dosenravioli aßen und Scrabble spielten. Das hat Spaß gemacht, aber ein wirklicher Vater warst du nie.  


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