Mein Yesterday Man

Es kam eine Zeit, in der ich mich wiederholt mit quälenden Träumen von meinem Yesterday-Man konfrontiert sah, in denen ich ihn vergeblich suchte. Ich konnte es nicht fassen, gehörte dieser Mann doch zu einer längst vergangenen Zeit. Schließlich wollte ich meinen Seelenfrieden wiederhaben und erkannte, dass ich dafür wissen musste, was aus ihm geworden war. So kam es zu einem Wiedersehen bei ihm zu Hause und ich lernte seine Familie kennen. Es tat nicht weh.

Über diesem Treffen lag eine große Leichtigkeit. Ich saß ihm gegenüber, fand ihn genauso attraktiv wie früher und spürte doch mit wachsendem Glücksgefühl, dass ich tatsächlich über die Sehnsüchte von damals hinweg war. Das Gefühl der Befreiung war immens, ich hatte mit diesem Wiedersehen genau das Richtige getan. Es war alles an seinem Platz und es war gut, wie es für uns beide gekommen war.

Danach vergingen weitere zehn Jahre ohne irgendeinen Kontakt zwischen uns. Wozu auch, zwischen uns war doch alles geklärt und beendet. Ich wusste ja, dass er für sich und letztlich für uns beide die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber dann, an einem Jahresende nach meiner Rückkehr aus dem Weihnachtsurlaub, da war diese fast vergessene Stimme auf dem AB, die mich bis ins Mark traf. Und ja, ich habe ihn zurückgerufen. Es nicht zu tun, wäre keine Option gewesen. Wir standen danach in einem lockeren telefonischen Kontakt, wobei die Initiative überwiegend von ihm ausging. Nach all dem Herzschmerz war ich fest entschlossen, ihn nie mehr zu nah kommen zu lassen. Unsere Telefongespräche waren nicht intim, blieben an einer ungefährlichen Oberfläche und raubten mir nicht den Nachtschlaf. Das sollte unbedingt so bleiben.

Einige Monate später kam die Frage nach einem Treffen. Ich war nicht begeistert, aber ich sagte zu, schon aus Freundschaft – wie ich dachte. In einem großen Einkaufszentrum voller Menschen versuchte ich seine vertrauten Züge aus einer Flut von fremden Gesichtern herauszufiltern und hatte auf einmal Angst, ihn nicht wiederzuerkennen. Die Sorge war unbegründet. Er hatte noch immer volles Haar, aber inzwischen überwog die graue Farbe. Das war mir fremd an ihm, weil es nicht zu meinen Erinnerungen passte, in denen er immer jung geblieben war. Aber sein Lächeln hatte sich nicht verändert.


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