Du nanntest es Liebe

Als es ihm schlecht ging, war er emotional, sensibel und fürsorglich. Als es ihm besser ging, verwandelte er sich in einen ganz anderen Mann. Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin erzählt über eine Liebe, die sie heute als Missbrauch bezeichnet.

Als es dir wieder besser ging, hast du entschieden, dass du zu mir ziehen willst. Ich fühlte mich komplett überrumpelt, aber ließ mich von deinen Träumen mitreißen und sprang mit auf den Zug der gemeinsamen Zukunft auf. Ohne ein vorheriges Gespräch entschiedest du genauso schnell, dass es sinnvoller wäre, einen Mietvertrag in deiner Stadt zu unterschreiben. Weil der Aufwand bei mir dir doch zu viel geworden wäre.

Du nanntest das später logisch. Ich nenne es heute zurückgelassen werden.

Der emotionale Mann kam nicht mehr zurück

Als dein Umzug anstand, verbrachte ich jedes Wochenende bei dir und schleppte und renovierte, neben den vielen bezahlten Arbeitern, mit aller Kraft. Als ich aus Versehen etwas von dir beschädigte, schriest du mich vor allen anderen lautstark an und konntest nicht begreifen, wie dämlich ein Mensch sein könnte. 

Du nanntest es später gutmütig, weil du mir diesen Fehler verziehen hattest. Ich nenne es heute Erniedrigung.

Als ich eines Abends durch Zufall auf deinem PC entdeckte, dass du in einem Portal für Erotikkontakte jeglicher Art angemeldet warst, konnte ich nur noch zittern und nicht glauben was ich da sah. Natürlich erklärtest du mir, dass das nicht so sei, wie ich wieder denke und am Ende des Tages war ich die Böse, die mal wieder das Wochenende zerstört hatte.

Du nanntest es später Pornosucht und nicht schlimm. Ich nenne es heute Betrug.

Schuld trug immer ich, niemals du

Als du mir eines Tages erklärtest, dass das mit uns keinen Sinn mehr macht, weil ich immer über die Dinge, die so passierten, sprechen und nie das Positive sehen wollte, bestätigte ich dir dein Denken, dass wir getrennte Wege gehen sollten. Daraufhin liefen bei dir plötzlich wieder die Tränen runter und du drohtest vor meinen Augen damit, dir selbst etwas anzutun.

Du nanntest es später Verzweiflung. Ich nenne es heute emotionale Erpressung.

Als meine Grunderkrankung in aller Härte zuschlug und meine Ärztin mich aus dem Verkehr zog, hörte ich dich am Telefon wieder weinen, als ich dir davon erzählte. Du warst so fertig, weil du mir doch unbedingt helfen wolltest, aber so machtlos warst. Ich sagte dir das erste Mal, dass es helfen würde, wenn du jetzt einfach für mich da sein könntest und du warst beruhigt, weil du das selbstverständlich tun würdest.

Am nächsten Tag und dem darauffolgenden Wochenende freutest du dich auf einen frühen Feierabend, ein leckeres Eis in der Sonne und Freunde, die dich besuchen wollten. Natürlich warst du entsetzt, dass ich nicht verstand, dass du wichtige Verpflichtungen hast und nicht immer so springen kannst wie ich es will.

Du nanntest es später Zeitmangel und mich verständnislos. Ich nenne es heute Gleichgültigkeit.

Immer wieder sagtest du mir, dass deine Mutter und auch deine Freunde auch entsetzt wären, weil sie dachten, ich sei ein netter Mensch und mir nie so ein egoistisches und verständnisloses Verhalten zugetraut hätten. So viele Menschen wurden durch mich enttäuscht. Ich werde nie erfahren, was für Geschichten du in deiner Welt erzählt hast.

Du nanntest es später Loyalität, weil du trotzdem bei mir bliebst. Ich nenne es heute Manipulation.

Du nanntest mich egoistisch und verständnislos

Ich beendete unsere Beziehung nachdem ich erfuhr, dass du, während ich bei meinen ärztlichen Behandlungen war, nichts anderes zu tun hattest, als auf deiner Plattform nach reizvollen Chatpartnerinnen zu suchen. Natürlich war das nicht so. Selbstverständlich war es meine falsche Wahrnehmung und mein unmögliches Misstrauen, dass ich dir immer so verletzend entgegenbrachte.


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