Du bist so lieb – zu lieb?

Der Egoist in der Opferrolle: Als unsere anonyme beziehungsweise-Leserin ihren Partner kennenlernt, war er mehrfach betrogen und verletzt worden. Sie wollte seinen Selbstwert wieder aufbauen – und ließ dabei zu, dass er ihren (fast) zerstörte

„Hätte ich dir die Wahrheit erzählt, hätte ich dich nicht rumgekriegt“, sagtest du mir nach einem Jahr Beziehung. Wow! Nicht, dass es mich überrascht hätte, denn so klischeehaft, wie die Redewendung ist, stimmt sie leider auch: Lügen haben kurze Beine. Stück für Stück kristallisierte sich heraus, dass deine Worte von Anfang an einen Mann beschrieben hatten, der du gerne sein wolltest, nicht zuletzt für mich, weil „… du es schließlich verdienst!“, wie du es tausend Mal betontest. Trotzdem traf mich deine Offenbarung, denn ich fühlte mich betrogen. Was nun? Gehen? Mein Herz schlug für dich und mein Helfer-Syndrom ließ mir keine Wahl, als dir zu helfen, obwohl du keine Hilfe wolltest.

Letztes Jahr dachte ich, dich gebrochen zu haben. Ich bemerkte allmählich, dass dein Tabakersatz ein Problem war, welches du nicht unter Kontrolle hattest, obwohl du dies immer bekräftigt hattest und ich glaubte dir auch, denn ich selbst bin mit süchtig machenden Substanzen nie auch nur im Ansatz in Berührung gekommen.

Wir hatten ein tiefgründiges Gespräch und endlich ließest du einen Blick in dich hinein zu. Du hattest oder hast finanzielle Schulden aufgrund deines Problems. Nun weiß ich auch, warum du nie Geld für Kino, Kanu-Tour oder Dinner hattest. Besonders verletzend war dabei, dass du das Geld dann auftreiben konntest, wenn es um Unternehmungen mit deinen Freunden ging. Das tat mir besonders weh.

Ich suchte die Ursache immer in deiner Vergangenheit. Du verstandest dich perfekt in deiner Opferrolle. Als ich dich kennenlernte, berichtetest du mir von deinen dich betrügenden Ex-Freundinnen und dass dich dies geprägt hätte. Besonders Geschichten von der einen Frau hast du oft ausgegraben – so oft, dass ich beinahe eine Biographie über sie schreiben könnte. Daran merkte ich, wie verletzt du warst und dass du dieses Erlebnis noch nicht überwunden hattest.

Also setzte ich mich an den Werktisch und begann, dein gerissenes Herz zu flicken. Ich habe dich überrascht mit Kleinigkeiten: für dich gekocht, dir besondere Geschenke gebastelt und gemalt und dich mit Liebe überhäuft – von mir solltest du nie das Gefühl bekommen, nicht geliebt zu werden. Ich war stets für dich da und habe es dir nicht krumm genommen, wenn du zu Ostern, Valentinstag, Frauentag usw. nichts für mich hattest, obwohl du wusstest, dass ich für dich etwas haben würde. „Früher war ich anders. Da habe ich meinen Freundinnen immer eine kleine Aufmerksamkeit geschenkt. Tut mir leid“, sagtest du nur. Leeres Geschwafel. Von diesen drei Worten habe ich einen Stapel so hoch wie das Burj Khalifa in Dubai.

Wenn mir etwas leid tut, dann mache ich es das nächste Mal besser. Du hast deine Handlungen jedoch immer wiederholt und mir wieder und wieder dieselben Worte als Antwort auf jenes Handeln gegeben. Dies bewirkte ein schreckliches Gefühl in mir. Stets fragte ich mich, was ich falsch mache. Warum verdienten deine dich betrügenden Ex-Freundinnen mehr Aufmerksamkeiten und damit Liebe als ich? Warum kannst du mir keine Freude machen? Deine Geschenke bestanden an Weihnachten und meinem Geburtstag darin, dass du mir Dinge schenktest, die DU gern an mir sehen wolltest und nicht darin, worüber ICH mich freuen würde.


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