Beinahe war es Liebe

Er wollte mehr Freiraum, sie wollte mehr Wir. Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin erzählt von einer Beinahe-Beziehung, die letztlich leider nur ihren Hoffnungen existierte

Wie sollte es auch anders kommen. Beim ersten Aufeinandertreffen in unseren jeweiligen Wieder-Single-Leben, küssten wir uns. Wir waren essen im Restaurant mit einem anschließenden Spaziergang durch die Nacht, fanden ein Sofa in einer Bar, für zwei Gläser Wein – tiefe Blicke, kurzweilige Gespräche. Dann war es so weit: der erste Kuss. 

Du hieltest meine Hand, wir liefen durch die Nacht hindurch und an der S-Bahn-Station wolltest du mich nicht gehen lassen. Es fühlte sich an, als wollten wir einander nie wieder loslassen. Doch an diesem Abend mussten wir uns noch einmal voneinander verabschieden, da deine Ex-Freundin zu diesem Zeitpunkt noch bei dir wohnte.

Dann ging alles schnell. Auf den ersten Kuss folgten viele weitere. Wir hatten leidenschaftlichen Sex. Wir verbrachten gemeinsame Tage, gemeinsame Nächte, standen morgens gemeinsam auf. Und wir teilten unendlich viele tiefe Gespräche, Nachrichten und Telefonate. Du wurdest immer präsenter in meinem Leben. Je mehr ich dich sah, desto mehr wollte ich dich sehen. Wenn ich an dich dachte, herrschte in mir endloser Sommer.

Viele Küsse, gemeinsame Nächte, tiefe Verbundenheit

Du hattest mein Herz berührt. Und nicht nur das: Ich war bereits zu diesem Zeitpunkt aus vollem Herzen in dich verliebt. Vom ersten Moment an erbauten wir eine gemeinsame Welt. Aufgebaut auf dem Gefühl dieser Besonderheit, in dem anderen jemanden begegnet zu sein, der dem eigenen Sein so ähnlich war und dessen Sehnsüchte den eigenen so nahekamen. 

Ein Gegenüber, mit dem wir so offen Leidenschaften, Gedanken und Gefühle teilen konnten. Ein Begegnen ohne Masken. Ich war erfüllt von dem Glücksgefühl, des tiefen Verstanden-Werden meines Menschseins von dir, ähnlicher Bedürfnisse, dem tiefen Mitgefühl, der Zuneigung, Hingabe und Nähe.

In dieser Welt gab es bereits Ideen einer gemeinsamen Zukunft, einer gemeinsamen psychotherapeutischen Praxis und die Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens. In der Welt in meinem Kopf gab es bereits einen gemeinsamen Alltag, ein Zusammenleben. 

Heute ist mir bewusst, ich war schon damals völlig verloren. Es war meine Vorstellung, nicht unsere. Du hast mich so schnell verletzlich gemacht und hungrig und neugierig auf eine gemeinsame Zukunft mit dir. Wir versanken beide kurzzeitig in einer solchen möglichen gemeinsamen Welt. Vielleicht war es auch mehr die Euphorie für die Stärke und Lebendigkeit der erweckten Gefühle in uns als für das tatsächliche Geschehen. 

Ich versank nicht nur mit dir in den Ideen, ich versank auch in der erbauten Welt in meinem Kopf. Irgendwann versank in beiden Welten nur noch ich. Und das immer tiefer. Ich war verrückt nach dem, was du bist, was wir zusammen sind, und, wie ich mich durch dich fühlte.

Die neue Welt wurde brüchig

Zunächst beinahe unmerklich, bekam unsere Welt Risse. Du seist noch nicht bereit für ein neues Gemeinsames, noch am Verarbeiten deiner vorherigen langen Beziehung. Dafür wolltest du Raum für dich. Freiheit, um in ihr herauszufinden, wie du eine Partnerschaft für dich im weiteren Leben leben möchtest und wie es eine Form von Beziehung für dich geben kann, in der du genug Raum für dich behältst.

Ich zeigte Verständnis für dein Innenleben, auf der Basis dir deine ersehnte Freiheit geben zu wollen und dem Vertrauen, dass unsere tiefe Verbundenheit daran nichts ändern würde. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, wir könnten uns in unseren jeweiligen Verletzlichkeiten beistehen und dabei begleiten, unsere jeweiligen Wunden zu heilen.


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