Erste Liebe: Rote Rosen und ein Telegramm

An die erste Liebe erinnert sich jeder. Was passiert, wenn man sie unerwartet wieder trifft? Gastautor Georg Harrell über einen Wirbelsturm von Emotionen, peinliche Erinnerungen und viele rote Rosen

Welch ein Zufall! Plötzlich bog diese Person, die einmal das Zentrum meines Lebens war, um die Ecke und ich lief in sie hinein. Wir lachten. Mit den Erinnerungen stieg mir das Blut ins Gesicht. Kann etwas zu lang her sein, als dass es noch peinlich ist? Richtig peinlich, meine ich. So peinlich wie rote Rosen und ein Telegramm.

Rückblende. Jung, naiv und verknallt. Du warst fünf Jahre älter, damals ein Erfahrungsvorsprung wie heute mehr als ein Jahrzehnt. Ich hatte keine wirkliche Ahnung von Sex und Liebe. Über die Liebe hatte ich viel gelesen: Erich Fromm, Hermann Hesse, jede Menge Theorie also. An Praxis mangelte es mir dagegen. Ein paar heimliche Briefe in der Schule. Knutschen und so beim Engtanz auf der Party. Händchen halten. Das war es gewesen.

Dann kamst du. Ich sah dich auf der Bühne des kleinen Lokals, in dem ich kellnerte. Du gabst die „Lola Blau“ in einem Musical für eine Schauspielerin. Ich wusste nicht, dass es sich dabei um ein berühmtes Kammerstück eines berühmten Texters und Komponisten handelte. Aber ich mochte deine Stimme, ich fand die Songs witzig und ich sorgte dafür, dass dein Weinglas nie leer wurde.

Wir könnten lange diskutieren, ob du mich verführt hast. Oder ich dich. Wenn ich es war, dann geschah das intuitiv, denn ich hatte keine Ahnung, wie Verführung gehen sollte. Wein schien zumindest ein Weg. Nicht ins Herz, aber in die Garderobe. Meine Großeltern hätten nach diesem Nachmittag wohl geheiratet. Oder heiraten müssen. Bei uns gab es schwarzen Kaffee und filterlose Zigaretten.

Bis zur Premiere war es noch eine Woche. Du musstest viel proben, ich trug mich für zusätzliche Schichten ein, so dass ich gerade fertig war, wenn du Noten und Textbuch einpacken konntest. Weil ich noch nie einen Menschen wie dich getroffen und schon gar nicht so erlebt hatte, blieb mir nur übrig, mich zu verlieben. Was hätte ich sonst tun sollen? Das war alles so neu, so voller Spannung – und so erwachsen –, dass ich keine andere Chance hatte, als zu glauben, nein zu wissen, dass die wundervolle Liebe, von der ich so viel gelesen hatte, endlich auch in mein Leben getreten war. Oh Mann, war ich naiv.

Dann kam die Premiere. Mit ihr die Gäste. Deine Fans. Ich wusste nicht, wie wirkliche Fans waren, was sie taten, wie sie aussahen. In meiner Vorstellung bis dahin waren das einsame Menschen, die Autogrammkarten sammelten und Filme schauten, die von Videobändern gezogen waren. Ich pflegte also eher einen mitleidvollen Blick auf solche „Fans“. Nochmals, ich war sehr naiv.

Der erste Fan war älter als mein Vater, aber erheblich fitter und selbstsicherer. Er brachte Lilien, für die ich eine Vase organisieren sollte. Der zweite war ein Schauspieler, den ich aus dem Fernsehen kannte, wo er meist den Nebenbuhler des Hauptdarstellers spielte. Wie passend. Der dritte war jung und angeblich ein Cousin. Das glaubte nicht einmal ich. Kurz, mir wurde klar: Was auch immer ich fühlte, für dich war ich ein Abenteuer. Und du hattest ganz offensichtlich Erfahrung mit Abenteuern. Und Abenteurern.


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