unerhört: Er macht direkt zu

Ich kann mit meinem Partner nicht über Probleme reden, weil er immer direkt zu macht. Paartherapeut Eric Hegmann erklärt die Dynamik dahinter.

Sie möchte über ihre Beziehung und ihre Gefühle sprechen, aber er blockt ab und zieht sich zurück, ist natürlich ein Klischee. Aber eines, in dem auch viel Wahrheit steckt. Denn diese Forderungs-Rückzugs-Dynamik, wenn also einer häufiger Gespräche initiieren möchte als der andere und dieser sich stattdessen lieber hinter einer Mauer des Schweigens verschanzt, die gibt es tatsächlich häufig. Verschanzen können sich natürlich auch Frauen, ich bleibe aber bei dem Klischee, denn bei der Fragestellerin ist es ja genau so.     

Sie fühlt sich schon eine Weile nicht mehr wirklich beachtet, nicht mehr wahrgenommen. Sie erlebt sich eher als ein Inventarstück als eine Partnerin. Sie belastet das sehr, vor allem weil er das gar nicht mitzubekommen scheint. Sie versuchte auch immer wieder, ihre Gedanken mit ihm zu teilen. Aber sie kommt bei ihm nicht durch. Und was machen Menschen notgedrungen, die sich nicht gehört fühlen? Sie werden lauter. Und sie werden drängender. Und sie werden verzweifelter. Da ist die geliebte Person neben ihnen, aber sie spricht nicht mit ihnen. Das ist furchtbar.  

Perspektivwechsel: Was machen die Menschen, die mauern und nichts sagen oder nicht reagieren oder die Flucht ergreifen? Je mehr sie sich bedrängt fühlen, umso mehr flüchten sie. Denn was bei ihm immer stärker wird mit jedem ihrer Versuche ist die Gewissheit: „Ich bin ein schlechter Partner, ich kann die Wünsche meiner Partnerin nicht erfüllen. Wenn ich nichts sage, dann scheitern wir als Paar. Aber jedes Wort, das ich sagen könnte, das würde alles nur noch schlimmer machen.“ Er war vor Angst, etwas Falsches zu tun, stumm und gelähmt. Und das Wissen, dass diese Gelähmtheit es noch schlimmer machen würde, ließ ihn noch mehr verstummen aus Angst. Während sie gleichzeitig immer lauter wurde, aus Angst, ihn ganz zu verlieren, obwohl sie wusste, dass sie ihn immer weiter in die Flucht trieb, weil sie lauter und drängender wurde.     

Eine ganz wichtige Erkenntnis für beide Partner könnte nun sein: Wir beide versuchen unsere Beziehung zu schützen, wir beide kämpfen auf unsere Weise gegen die Angst vor einem Auseinanderbrechen oder dem Ende unserer Liebe. Es braucht hier eine Empathiebrücke, durch die die unterschiedlichen Strategien als genau das erkannt werden: Die gleiche Angst befeuert sie.

Denn nicht die Partner sind Feinde, sondern sie haben einen gemeinsamen Feind. Nämlich die Dynamik, die sich durch ihre unterschiedliche Art und Persönlichkeit entwickelt. Sich in einer Krise auf Rückzug einzustellen ist weder falsch noch richtig, ebenso nicht auf Angriff zu gehen. Das ist so, als würde man sagen: Introvertiert zu sein ist schlecht. Oder Extrovertiert. Beides sind ganz normale Verhaltensweisen. Und beide können in einer Situation ideal und in einer anderen nicht so ideal sein.

Sich gegenseitig also für eine solch tief liegende Persönlichkeitseigenschaft angreifen oder abwerten zu wollen, ist keine gute Idee. Sie sorgt nur für mehr Frust, für mehr Distanz und weiteren Streit. Das Verständnis füreinander, für die Unterschiedlichkeit und der Respekt für diese Unterschiedlichkeit ist unerlässlich. Solange auch nur einer überzeugt ist: Ich bin richtig, du bist falsch, ist der Partner der Gegner in einem Konflikt. Da werdet ihr nie eine Lösung finden. Eure Dynamik zeigt ja, dass ihr einer Sackgasse gelandet seid. Zu denken, nur der andere müsse sich ändern, wäre wie zu verlangen, einen Teil der Persönlichkeit zu verändern. Das geht so nicht. Es braucht stattdessen gemeinsame Veränderung, eine neue Streitkultur und die lässt sich nur entwickeln, wenn beide sich wohlfühlen können mit dem Ergebnis. Jemand, der Streit vermeiden will, wird sich niemals mit Angriff wohlfühlen. Das könnt ihr lassen. Ihr müsst etwas Anderes finden. 

Was das sein kann? Das ist individuell von Paar zu Paar verschieden. Das müsst ihr entwickeln. Am besten mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten. Denn wenn es euch leicht fallen würde, dann wärt ihr darauf schon selbst gekommen. 

So gehe ich in Paartherapie auch vor. Ich verwende hier die Methoden der Emotionsfokussierten Paartherapie. Erst finden wir heraus, wie euer Tanz aufgebaut ist, welche Schritte ihr macht und zu welcher Musik. Und dann legen wir ein neues Lied auf und üben dafür neue Schritte ein. Dafür gibt es sogenannte Interventionen. Voraussetzung ist die Bereitschaft, alte Wege zu verlassen, die eigenen Ängste zu benennen und sich darauf einzulassen, dass nicht ein Partner die Schuld trägt an dieser Dynamik, sondern dass die Dynamik der gemeinsame Gegner des Paares ist, den beide bekämpfen müssen.

Ihr seht. Für das Problem gibt es keine einfache Lösung. Schon gar keine, die für jedes Paar gleich wäre. Diese Erkenntnis ist aber viellicht schon hilfreich. Dass nicht ihr oder euer Partner das Problem ist, sondern dass ihr ein gemeinsames Problem habt, das ihr auch nur gemeinsam lösen könnt.

unerhörtehrlich

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