Vögeln ist silber

Nacktaktiv. Das ist die neue Kolumne von Anna Zimt auf beziehungsweise. Sie schreibt über die Dinge, die sie nackt und nachts erlebt und über alles, was ihr so durch den Kopf geht, wenn sie mal nicht schlafen kann. Los geht’s

Wir knutschen uns durch seinen kleinen Flur in Richtung Schlafzimmer und ich bin überrascht, wie selbstsicher dieser Anfang-Zwanzigjährige Mann mich durch seine Wohnung lotst. Das ist garantiert nicht das erste Mal, dass er mit einer Frau diese direkte Route Richtung Bett einschlägt, denke ich schmunzelnd und streife mir nebenbei die schwarzen Stiefel von den Knöcheln. Und auch ich mache sowas hier nicht zum ersten Mal. Weiß Gott nicht.

Lennart und ich haben uns letzte Woche bei Tinder gematched und nun auf einen Wein getroffen. „Weißwein trinkt meine Mama auch immer“, hatte er meine Getränkewahl kommentiert und ich war nicht sicher, ob ich mit meinen 34 Jahren einfach überlegen darüber hinweglächeln oder ihm eine in sein süßes Gesicht klatschen sollte. Ich entschied mich für gnädige Überlegenheit und dachte kurz darüber nach, wie sich jüngere Männer sonst noch ins Aus schießen konnten. Ziemlich weit oben stehen da – neben ungefragten Dickpics-Nachrichten, in denen mir jemand schreibt: „Hi, was sucht denn eine so hübsche Dame wie du hier auf Tinder?“ – Dame? DAME?!?!, denke ich jedes Mal entrüstet. Tickt der noch richtig? Trage ich etwa bis zum Kinn zugeknöpfte Blusen, mein Handtäschchen in der Armbeuge und rümpfe angewidert die Nase, wenn jemand das Wort Penis sagt? Nein. Zu allem nein. Ich bin die, die das Wort Penis sagt. Und zwar doll und deutlich.

Ich bin verheiratet und führe eine offene Beziehung

„Ich bin Anna. Ich bin verheiratet und führe eine offene Beziehung. Und ich suche etwas Aufregendes, Schönes, Kluges und Witziges. Ohne blöde Spielchen. Und du?“, hatte ich auch Lennart auf die typische zweite Tinder-Nachricht geantwortet. Er hatte das mit der Dame Gott sei Dank weggelassen. Viele hassen diese Frage nach den Dating-Absichten ja. Und klar, nimmt die (hoffentlich) ehrliche Antwort auf diese Frage ein wenig den „Zauber des Kennenlernens“, aber ich mag diese Klarheit. Und ich glaube viele Tränen und Eisbecher wären unnötig, wenn wir manchmal etwas früher ehrlicher miteinander wären.

Dem großen, blonden Lennart gefielen meine Absichten jedenfalls und so saßen wir bis vor zwanzig Minuten noch in einer Bar bei ihm um die Ecke und grinsten uns an, während wir uns erzählten, wer wir so sind. Und was wir so machen. Aber jetzt, während wir uns gegenseitig gierig ausziehen, weil wir endlich im Bett angekommen sind, ist es egal, dass Lennart irgendwas mit Sportmanagement macht und ich über Sex, Dating und Beziehungen rede und schreibe. Wir sind fertig mit Reden. So dachte ich jedenfalls.


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