Warum es einfacher ist, freundlich zu Fremden zu sein als zum eigenen Partner

Eben noch ein nettes Gespräch mit der Kollegin geführt und dann – kaum zuhause angekommen – regen uns unsere Liebsten so furchtbar auf, dass wir unfreundlich und genervt sind. Dabei wollen wir doch nur in den Arm genommen werden. Wir klären, warum wir zu Fremden oft freundlicher sind als zum eigenen Partner.

Große Belastungen können zu großen Selbstzweifeln führen 

Die meisten Paare machen nach der Geburt ihres ersten Kindes eine sehr schwierige Zeit durch. Das zeigen leider auch die Trennungsstatistiken. Beide haben sich sehr auf das Kind gefreut und tun ihr Bestes, damit es ihrem Baby gut geht. Aber es läuft nicht so, wie vorgestellt und erhofft. Das Baby schreit und lässt sich nicht beruhigen. Die Nächte sind schlimm, beide Eltern sind angestrengt und übermüdet. Die Nerven liegen blank. Sie tut alles, um das Baby beim Stillen zu beruhigen, zweifelt aber langsam an ihrer Fähigkeit, eine gute Mutter zu sein.

Er steht immer wieder hilflos daneben, schließlich kann er dem Kind ja nicht die Brust geben. Deswegen versucht er eine Lösung zu finden, indem er recherchiert und sie mit Expertentipps versorgt. Sie ist darüber genervt und auch verzweifelt, fühlt sie sich durch seine Ratschläge noch zusätzlich in ihren Selbstzweifeln über ihre mütterlichen Fähigkeiten bestärkt. Er wiederum ist enttäuscht, dass seine Erwartungen, dass sie jetzt eine kleine, harmonische und glückliche Familie sind, nicht in Erfüllung zu gehen zu scheinen. Er zweifelt daran, dass er ein guter Partner ist, denn offenbar hat er nicht das Zeug dazu, dieses Familienidyll herzustellen.  

Beide können sich nicht das geben, was sie brauchen  

Im Grunde könnte es ganz einfach sein. Wenn er sich sicherer gefühlt hätte, hätte er seiner Partnerin sagen können, dass er weiß, dass sie alles dafür tut, dass es ihrem Baby gut geht und alles richtig macht. Genauso wie es ihnen in den Vorbereitungen auf die Geburt gesagt worden war. Und wenn seine Frau sich kompetenter und sicher gefühlt hätte, dann hätte sie ihm sagen können, wie sie sich fühlt und dass auch sie sieht, dass er alles versucht, um ein guter Vater zu sein. Aber in dieser Gemengelage aus Unsicherheit und Angst können sich beide nicht das geben, was sie brauchen. Und seien wir mal ehrlich, das ist ganz häufig der Fall im wirklichen Leben. Es gibt Stress, beide sind angestrengt und haben Bedürfnisse, die der Partner gerade nicht erfüllen kann, weil er selbst verunsichert und angestrengt ist.  

Wir brauchen den Anderen wie Sauerstoff zum Leben 

Um zu erklären, was hier vor sich geht, schauen wir auf den Ansatz des Psychoanalytikers Heinz Kohut, der sich Selbstpsychologie nennt.  Kohut begann in den 1960er Jahren mit seinen Untersuchungen zum Konzept des Selbst. Die strukturierende Kraft der menschlichen Psyche ist demnach das Bedürfnis, sich als ein zusammenhängendes Selbst zu erleben und zu organisieren. Das kann es dadurch, dass es Beziehungen zu seiner Umwelt herstellt, die ihm Anerkennung, Bestätigung und Zuwendung bringen. Durch diese Erfahrung entsteht das Selbstwertgefühl des Menschen.

Als Selbstobjekte bezeichnet Kohut die Personen, Gegenstände oder auch Symbole (Auszeichnungen, Geschenke usw.), die dem Selbst diese positiven Erfahrungen ermöglichen. Jeder Mensch hat Selbstobjektbedürfnisse, so wie es Kohut nennt, was nichts anderes bedeutet, als dass wir andere Menschen unser Leben lang benötigen, um Bestätigung für unser Selbst zu finden. Die positive Zuwendung lässt uns dabei die eigene Größe und den eigenen Wert erfahren, wir entwickeln ein zusammenhängendes Gefühl dafür, wer wir sind. Kohut war der Ansicht, dass wir diese Bestätigung durch Selbstobjekte (andere Menschen, Symbole usw.) so notwendig brauchen, wie Sauerstoff zum Leben und das nicht nur in unserer Kindheit, sondern auch als Erwachsene*.

Es kommt im Leben also darauf an, jemanden zu finden, der genau diese Funktion (des Selbstobjektes) erfüllt und damit ermöglicht, dass wir uns geschätzt, anerkannt, geliebt und großartig fühlen können. Und wer könnte diese Funktion besser erfüllen, als ein geliebter Mensch, eine Partnerin/ein Partner. Denn es braucht Nähe und Empathie, damit ich mich in die Gefühle und Bedürfnisse des anderen einfühlen kann und ihm das geben kann, was er braucht, ohne dass er sich lange erklären muss. Aber: Um Empathie von einem Partner zu bekommen, müssen wir ihm Empathie entgegenbringen*. Dieses Prinzip funktioniert auf Gegenseitigkeit. 


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