Warum besser nicht Gras über die Sache wachsen lassen?

Konflikte lösen oder auf die lange Bank schieben und hoffen, dass sie sich von alleine lösen werden? Warum viele Paare strittige Themen aussitzen und weshalb das keine gute Idee ist, erklärt Paartherapeut Eric Hegmann.

“Können wir es nicht einfach gut sein lassen? Wollen wir nicht einen Haken dransetzen?” Konflikte sind anstrengend und mühevoll. Deshalb ist es für viele Paare durchaus verlockend, Stressthemen auch mal auszusitzen. Also abwarten und schauen, ob diese in einigen Monaten immer noch schmerzen. Vielleicht gehen sie ja von alleine weg? Braucht es nicht einfach mehr Mut zu Geduld? Im Rückblick ist doch so mancher Konflikt es gar nicht wert gewesen. Oder?

“Paar-Mikado” nennt der klinische Sexualpsychologe Christoph Joseph Ahlers dieses Phänomen. Der systemische Paar- und Sexualtherapeut Ulrich Clement spricht von “Exkommunikation”, wenn ein Thema “wegkommuniziert” wird, indem das Paar darüber nicht mehr spricht. Beide schildern mit ihren Bildern, wie Partner darauf hoffen, dass der andere ein schwieriges Thema nicht mehr ansprechen würde. Denn weil der sich ja umgekehrt dasselbe wünscht, bewegt sich keiner der beiden. Mit der Begründung: “Wenn du das nicht ansprichst, das ist es wohl nicht so wichtig. Sonst würdest du es nicht unter den Tisch fallen lassen.” Wie beim Mikado verliert also – vermeintlich – derjenige, der sich zuerst bewegt.

Viele Paare beenden Konflikte, indem sie nicht mehr über sie sprechen

Was geschieht, wenn sich keiner bewegt? Die Verletzung oder der Konflikt sind erlebt und geschehen. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit war nicht jede Verhaltensweise in diesem Zusammenhang angemessen und wird im Nachhinein anders bewertet, vielleicht sogar bereut. Wenn beide Partner nicht mehr darüber sprechen, dann signalisieren sie am Ende irgendwie Einigkeit darüber, dass der Anlass nicht noch mehr Zerwürfnis wert wäre. Könnte man denken. Und manchmal mag das tatsächlich so sein. Viele Paare denken, sie könnten Konflikte beenden, indem sie diese ignorieren und nicht mehr ansprechen. Besonders Harmonie bedürftige Menschen neigen zu dieser Strategie. Streit ist für sie gleichbedeutend mit drohendem Beziehungsaus. Diesen Gedanken alleine können sie schwer ertragen und greifen auf Abwehrmechanismen und Schutzstrategien zurück, um diese Angstgefühle zu vermeiden und nicht erleben zu müssen.

Grundsätzlich jedoch verschwinden Konflikte nicht einfach so und Krisenfeuer brennen einfach aus. Sie schwelen eher weiter und warten auf einen kleinen Windhauch, um wieder entfacht zu werden. Und wenn es nicht zu einer Aufarbeitung kam, sei es eine Versöhnung oder eine Entschuldigung, dann wartet der nächste Brandherd eigentlich nur darauf, erneut auszubrechen.

Alle Paare streiten, auch die glücklichen! Der Unterschied ist, dass die glücklichen Paare Rituale gefunden haben, Verletzungen zu heilen. Richtig um Entschuldigung bitten, kann ein Weg zur Versöhnung sein. Andere Paare zeigen sich durch lange Umarmungen, dass zwischen ihnen immer noch alles in Ordnung sei. Es geht darum einander zu zeigen, dass trotz des Konfliktes die Verbindung zwischen den Partnern tragfähig und sicher ist. Denn dann, und nur dann, ist zumindest wahrscheinlicher, dass ein Konflikt nicht eskaliert.


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