Mythos Attraktivität. Was Sie getrost vergessen können.

Seit über einem Jahrhundert nimmt sich die Wissenschaft zwei Fragen mit der Regelmäßigkeit des Sonnenaufgangs an: Was finden wir bei einem Partner begehrenswert und wieso ist das so?

In dem dabei gewachsenen Fakten-Dschungel aus Thigh-Gap und Sixpack, Geruch und Symmetrie, Genetik und Erziehung lässt sich leicht der Überblick verlieren. Damit Sie das Chaos durchblicken, liefern wir Ihnen hier einmal Klarheit und räumen mit einigen Mythen auf.

Also, was finden wir attraktiv?

Zur Klärung dieser Frage müssen wir ganz am Anfang beginnen und wissenschaftliche Quellen von solchen trennen, die Sachlichkeit nur vortäuschen. Warum das nicht immer ganz einfach ist, lässt sich an einem Running-Gag unter Wissenschaftlern erahnen, in welchem die absurdesten Behauptungen mit dem Satz: ‘Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden…’ eingeleitet werden. Amerikanische Wissenschaftler haben beispielsweise eine Pille gegen Leichtgläubigkeit erfunden. Der Witz ist dabei nicht, dass amerikanische Wissenschaftler generell schlechte Arbeit leisten, sondern dass kaum ein Zeitungsartikel, der mit diesem Satz beginnt, auch nur halbwegs belastbare Studien zitiert. Da dies für den Laien allerdings häufig kaum zu erkennen ist, entstehen leider schnell Mythen.

Frauen gehen Beziehungen mit reichen Männern, Männer mit hübschen Frauen ein? Mitnichten!

Ein Beispiel gefällig? Nehmen wir die populäre These, dass Männer bei der Partnersuche aufs Aussehen und Frauen auf Geld und Status achten. Aus der Popkultur und öffentlichen Meinung ist diese Idee kaum wegzudenken. Setzt man allerdings die Brille der Empirie auf, entlarvt sich diese scheinbare Wahrheit schnell als falsch. Tatsächlich ist es in Bezug auf Partnerschaften viel eher so, dass Ähnlichkeiten den Ton angeben. Eher attraktive Menschen sind – unabhängig vom Geschlecht – eher mit attraktiven Personen zusammen. Ebenso sieht es bei den Reichen aus. Der gutaussehende Millionär ist nämlich in der Regel nicht mit einer naiven Schönheit aus einfachen Verhältnissen, sondern mit einer hübschen Millionärin zusammen. Natürlich gibt es sie trotzdem, die stereotype Kombination aus wohlhabendem Greis und attraktiver jungen Frau, sie stellt in unserer Gesellschaft aber die absolute Ausnahme dar.

Für die Wissenschaft ist diese Erkenntnis im Übrigen weder neu noch in irgendeiner Weise umstritten, was die Bedeutung der Unterscheidung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und geläufiger Binsenweisheit besonders unterstreicht. Halten wir also fest, für die Klärung der Frage, was wir attraktiv finden, ist Wissenschaftlichkeit wichtig. Was kann uns diese also lehren? Überraschenderweise können wir im Moment noch überraschend wenige Dinge wirklich wissen, wir können uns aber sehr wohl nähern.

1. Möglichst durchschnittliche Gesichter sind attraktiv

Einer der verblüffendsten Befunde wurde schon im 19. Jahrhundert und eher zufällig durch den Briten Francis Galton zutage gefördert. Dieser wollte herausfinden, ob Kriminelle eventuell eine gemeinsame Physiognomie teilen (Geheimer Tipp: Natürlich nicht!). Dafür projizierte er die Visagen vieler Verbrecher übereinander und bemerkte, dass das resultierende Durchschnittsgesicht immer herausragend hübsch war. In den letzten anderthalb Dekaden wurde dieses Experiment häufig reproduziert und tatsächlich gilt auch für unser heutiges ästhetisches Empfinden noch: Der Durchschnitt aus 30 Gesichtern ist ansehnlicher als die Summe seiner Teile.

2. Große Männer werden als attraktiver wahrgenommen

Eine weitere gesicherte und sogar kulturübergreifende Wahrheit stellt leider eine schlechte Nachricht für die etwas kleineren Männer dar: Fast überall auf der Welt werden verhältnismäßig große Männer als attraktiver wahrgenommen. Aus soziologischer Perspektive liegt dieses unfaire Schicksal in den komplexen Assoziationen, die mit Körpergröße bei Männern verbunden werden. Die Symbolik der Dominanz durch Größe schlägt sich nämlich in nahezu allen Lebensbereichen positiv nieder. Von besseren Chancen einen Job zu kriegen und mehr Gehalt zu bekommen, über die geringere Gefahr auf der Straße angegriffen zu werden oder die Möglichkeit, als hochgewachsener Politiker Menschen für sich zu begeistern – die Großen werden belohnt.

Mediale Stars – in der Realität rar

So interessant diese exemplarischen Eigenschaften  – Durchschnittlichkeit im Gesicht und Größe bei Männern – klingen mögen, so selten sind sie. Das Gros der geläufigen Attraktivitäts-Faktoren haben, obwohl sie medial so gerne aufgegriffen und gefeiert werden, entweder einen sehr begrenzten und situativen Einfluss oder sind bereits im Wissenschaftsdiskurs mehr als umstritten.

3. Geht Anziehungskraft durch die Nase?

Sie haben ja sicherlich schon gehört, dass hinter der Redewendung ‘sich gut riechen können’ die biologische Gewissheit steckt, dass unsere Attraktion unbewusst stark durch Gerüche beeinflusst wird. Untermauert wird diese These von der Überlegung, dass diejenigen Gene, die die Proteine unseres Immunsystems kodieren, für einen Teil unseres jeweiligen individuellen Körpergeruchs verantwortlich sind. Aus diesem Zusammenhang erklären sich dann einige Evolutionsbiologen, dass die Kombination bestimmter Immunsysteme einen Anpassungsvorteil verspricht. Das klingt auf den ersten Blick total logisch und schlau – medial ein Hauptgewinn. Fachlich ist diese Meinung allerdings umstritten: Auf jede biologische Studie, die einen Zusammenhang sieht, folgt eine andere, die ihn verneint.

Pille, Deo und weitere Einflußfaktoren

So wurde zum Beispiel herausgefunden, dass das Deo des Ex-Partners für die Anziehung eine größere Rolle als das Immunsystem spielt, dass die Einnahme der Pille die Wahrnehmung manipuliert und der postulierte Einfluss durch kulturelle Regeln zur adäquaten Partnerwahl, sowohl in Stammesgemeinschaften als auch in modernen Gesellschaften, regelmäßig überschrieben wird.

4. Symmetrie als Pluspunkt?

Eine weiteres Streitthema, dass in Zeitschriften und deren Online-Ausgaben immer wieder gerne herangezogen wird, ist die Rolle der Symmetrie eines Gesichtes für dessen Attraktivität. Einige Studien haben zu Tage gefördert, dass hohe Symmetrie einen positiven Einfluss auf die Schönheit hat. Prompt meldet sich wieder die Evolutionsbiologie zu Wort: Symmetrie ist ein Indikator für intaktes Erbgut, daher finden wir symmetrische Züge toll. Wieder klingt das auf den ersten Blick logisch und schlau. Wieder lässt sich eine solche Meldung in einen aufsehenerregenden Artikel gießen.

Wieder ist die Erklärung aber etwas zu einfach geraten.

So zeigt sich, dass Symmetrie nicht der entscheidende Faktor ist schon darin, dass die attraktiven Gesichter auch dann noch als solche wahrgenommen werden, wenn man nur eine Seite von Ihnen zu sehen bekommt. Darüber hinaus sind Personen wie Marilyn Monroe prominente Beispiele dafür, dass gerade kleine Aspekte der Asymmetrie massenhaft begeistern können.

Wenn nun aber selbst der gesamte Wissenschaftsbetrieb sich in vielen Aspekten nicht einig darüber ist, was der Mensch anziehend findet, wie kann dann dieser kleine Artikel die versprochene Klarheit liefern? Nun, er kann es nicht. Die eingehende Ankündigung, den Fragen auf den Grund zu gehen, war ein kleiner Taschenspielertrick, um Sie zum Lesen zu bewegen. Dies ist mir gelungen, wenn Sie diesen Satz lesen. Und hoffentlich auch, Ihr Bewusstsein für die wackeligen Beine vieler Volksweisheiten über Attraktion zu schärfen. Die Wahrheitsfindung macht in Bezug auf Attraktionsforschung leider viel zu oft den Caspar David Friedrich und wandert über dem Nebelmeer. Viel zu schnell ändert sich die Kultur und der klare Blick ins Tal bleibt eine romantische Schwärmerei. Zwar stimmt es schon, der Mensch ist am Ende des Tages auch nur ein Tier – der Mensch hat aber wie kein anderes Lebewesen gelernt, seine biologischen Instinkte kulturell zu verlernen. Die Frage welche Personen, mit welchem Immunsystem, welcher Form und mit welcher Haarfarbe besonders begehrenswert sind, macht in unserer modernen Welt da keine Ausnahme.


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