Kann man gleichzeitig verliebt sein und zweifeln?

Unser Autor beobachtet, dass frischverliebte Paare oft schon nach kurzer Zeit an ihren Beziehungen zweifeln: Wie passt das zusammen?

Ich weiß nicht, ob es sich um ein Zeitgeistphänomen handelt oder ob es das früher ähnlich häufig gab: Viele frischverliebte Männer und Frauen zweifeln bereits in den ersten Wochen und Monaten an ihren bestens gestarteten Beziehungen und Partnern. Die Schmetterlinge im Bauch zappeln zwar wie auf Drogen, zugleich meldet sich aber schnell jene kritische Stimme zu Wort, die man üblicherweise nur aus schweren Beziehungskrisen kennt. Ist er wirklich der Richtige für mich? Soll ich mich wirklich voll und ganz auf diese Beziehung einlassen? Ich mag dich, aber … Ich liebe dich, aber … Ich fühle mich zu dir hingezogen, aber …

An dieser Stelle ist nicht von jener gesunden Skepsis während des Kennenlernens die Rede, wenn alles noch in der Schwebe ist, man sich noch nicht sehr gut kennt und vor allem der Beziehungsstatus gänzlich unbestimmt ist. Die Rede ist vielmehr von jungen, aber festen Beziehungen, die zwei Menschen eingegangen sind, weil sie sich mächtig ineinander verliebt haben. Beziehungen, in denen man eigentlich (noch) keine Probleme vermuten würde. Eigentlich.

Ambivalenz in der Beziehung: Schutzschild und Lebensgefühl?

Ambivalenz ist offenbar das neue Schwarz. Selbst in festen, „definierten“ Beziehungen fühlen sich heutzutage viele Menschen hin- und hergerissen. Ambivalenz tut zwar langfristig nicht gut, aber trotzdem hat sie gewisse Vorteile. Ambivalenz kann man sich als Schutzschild vor das eigene Herz halten. Mit Ambivalenz kann man (scheinbar) seine eigene Unabhängigkeit bewahren. Kurz: Ambivalenz ist ein Lebensgefühl, das zwar nicht glücklich macht, dafür aber mit einer offenen, unverbauten Zukunft lockt. Alles ist noch möglich. Nichts ist endgültig, nichts unkorrigierbar. Das Leben – und die eigene Beziehung – ist keine Einbahnstraße, sondern ein großes Feld: Man fährt nicht in eine einzige Richtung, die vor allem vom partnerschaftlichen Miteinander bestimmt wird, sondern nach eigenem Belieben mal hierhin, mal dorthin. Und das paradoxerweise sogar gleichzeitig. Man will Nähe und Distanz, Schmetterlinge und Ich-Zeit, Sicherheit und Kompromisslosigkeit – und das alles auf einmal.

Ich verstehe eine gewisse Ambivalenz beim Kennenlernen. Aber in einer frischen Beziehung?! Wie kann man gleichzeitig verliebt sein und zweifeln? Lieben und unzufrieden mit seiner Beziehung sein? Wie passt das zusammen?


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