Intelligenz macht an: Anziehung trotz Unterschieden

Unterschiede ziehen einander an – so lange es ausreichend Gemeinsamkeiten gibt, die für eine stabile Basis sorgen. Unsere Autorin beschreibt ein Paar, dessen außergewöhnliche sexuelle Energie aus einer unterschätzten gemeinsamen Leidenschaft stammt: der Philosophie. 

Das hier ist eine schöne Geschichte, eine schöne Liebesgeschichte – und eine überraschende Liebesgeschichte, weil das Paar, um das es geht, gar nicht auffallend schön ist. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Zu oft denken wir, dass Paare „schön passen“ müssen wie die Rädchen eines Zahnrads ineinander, alles dreht sich rund. 

Auf diese Weise stellen wir uns das jedenfalls vor, und diesem Ideal jagen wir nach. Wir mögen die Erzählungen, Musikstücke und Filme, in denen uns vorgestellt wird, wie das aussieht, wenn zwei Menschen sich begegnen, die das perfekte Paar sind. Der Blitz schlägt ein, man fühlt romantische Gefühle und ist von früh bis spät aufgeregt. Die neue Liebe, die es so noch nie gab, die eine Weltneuheit ist, ein Spektakel, formiert sich mit Donnergetöse auf der Bühne des Lebens. In Wahrheit kommt die große Liebe oft still daher, unauffällig und manchmal auch in einem Gewand, das uns eher unpassend erscheint. Michael und Gitty sind solche „unpassenden“ Liebenden.

Von außen betrachtet gibt es wenig Stimmigkeit

Gitty ist zehn Jahre älter als Michael, sie ist Christin und Michael ist Atheist. Sie joggt leidenschaftlich gern, Michael lehnt Sport eher ab. Er achtet allerdings sehr auf seine Gesundheit, ernährt sich gesund, trinkt wenig Alkohol. Gitty ist jemand, die am Abend vor einem Marathon eine Flasche Wein leert, wenn sie sich in angenehmer Gesellschaft befindet und die Zeit vergisst. Sie lebt für den Augenblick, Michael plant lieber alles genau. Nach außen hin sind die beiden wahrlich kein Traumpaar. Aber von innen heraus sind sie es. Sie sind Seelenverwandte, sie sind Geistes-Verwandte. Michael und Gitty teilen eine flammende Leidenschaft für Philosophie. Es verlangt sie existenziell nach Selbsterkenntnis, Selbstentfaltung. Sie brauchen das wie die Luft zum Atmen. „Werde der, der Du bist”, hat der Philosoph Friedrich Nietzsche gesagt und sich dabei auf den griechischen Dichter Pindar bezogen. Und genau das tun Michael und Gitty; und sie tun es gemeinsam. Diese Erotik des Denkens wirkt sich auf die Erotik der Körper aus.

Gitty und Michael haben den besten Sex 

Michael: „Wenn ich mich an unsere erste Zeit erinnere, dann kann ich nicht sagen, dass ich gleich wusste, Gitty, das ist die Frau Deines Lebens. Wir haben uns über eine Internetpattform kennengelernt, sie und ich. Ich war nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung, Gitty ging es genauso. Wir wollten Spaß. Als wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten, sind wir beide voll auf unsere Kosten gekommen. Dabei war diese „Nummer“ quasi noch ohne philosophisches Vorspiel. Wir ruhten uns anschließend auf Gittys Bett aus, ich fühlte mich herrlich entspannt. Ich nahm ein Buch zur Hand, das bei ihr auf dem Nachttisch lag. Es war die „Phänomenologie des Geistes“ von Hegel. Das ist nicht dein Ernst, sagte ich zu Gitty, das liest du? Doch, antwortete sie, ich lese das. Philosophie ist mein Hobby, ich habe sogar Philosophie studiert und dann einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen. Doch die Philosophie hat mich nie losgelassen. Ich wälze mich seit Jahren durch die komplette Philosophiegeschichte, besuche Seminare und Vorträge, erklärte mir Gitty. 

Mir blieb die Luft weg, denn das tat ich auch

Wir hatten dasselbe Hobby, wenn man die Liebe zur Philosophie ein Hobby nennen kann, für mich ist das vielmehr eine Lebensaufgabe. Ich selbst habe nicht Philosophie studiert, sondern Volkswirtschaft und insofern vom Studium her keine Berührung mit diesem Sujet. Ich hätte aber sehr gern Philosophie studiert, aber ich hielt das für eine brotlose Kunst und habe deshalb zähneknirschend einen Studiengang ausgesucht, der mir aussichtsreicher für meinen zukünftigen Kontostand erschien. Ein weiser Mann hat mal gesagt, Philosophie studieren, das heißt, geistig reich und materiell arm zu sein. Auch mich hat die Philosophie nie losgelassen. Ich habe mir immer gewünscht, eine Frau zu treffen, die das mit mir teilt.


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