Mein wunder Punkt

Jeder hat ihn. Einen wunden Punkt. Eine Stelle, an der er ganz besonders sensibel ist, und die besser auch nicht berührt werden sollte. Bei unserer Autorin Jana Seelig ist genau dieser wunde Punkt ein Mann. In einem offenen Brief gesteht sie ihm, dass es sie noch immer schmerzt, wenn sie an ihn erinnert wird

Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden, aber wie viel Zeit sie benötigen, die Wunden, bis sie vollständig verheilt sind, das hat man uns nie gesagt. Ich hab mir wirklich Mühe gegeben, nicht zu grübeln und zu kratzen, denn ich wollte nicht, dass du eine Narbe bei mir hinterlässt, doch nach all dieser Zeit, nach diesen vielen, langen Jahren, ist diese eine Wunde immer noch nicht ganz geheilt.

Dabei weiß ich gar nicht so genau, warum da eine Wunde ist. Schließlich ist zwischen uns ja nie etwas passiert, also ich meine, etwas Schlimmes. Im Gegenteil. Als du gingst, da war alles ganz ruhig, und nur, wenn man ganz genau hingehört hat, also wirklich ganz, ganz, ganz genau, hat man vielleicht zwei Herzen knacken hören. Es hat sich nicht richtig angefühlt, aber auch nicht falsch, eher so, wie etwas, das eben sein muss, und bei dem auch jeder weiß, dass es für alle nur das Beste ist.

Jedenfalls, und ich glaube, du weißt das eigentlich genauso gut wie ich, ist dabei eben doch ein kleiner Riss in meinem Herzen entstanden, ein kleiner Riss, der so fein ist, dass man nie so wirklich sicher ist, ob da überhaupt was ist, das zeigt, wie verletzt ich war, obwohl ich es nicht zugeben wollte. Nicht vor dir, und gar nicht erst vor mir. Aber es ist nun mal so, dass da doch was ist, und es ist genau das, was man einen wunden Punkt nennt, so winzig, dass man es kaum sieht, aber drückt man mit dem Finger drauf, und sei es noch so sanft und sachte, dann schmerzt es eben doch, auch ohne dass man kratzt und grübelt und so Narben provoziert, die einen für immer daran erinnern, dass da mal was war, das längst verheilt ist.


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