Buchtipp „Von wegen vergeben und vergessen!“

Vergeben und vergessen? Sophie Hannah hat da eine etwas andere Meinung und sagt „Ja“ zum Groll. Mehr noch erkennt die Autorin Kraft und Chancen im Nichtvergeben. Sie findet, dass Groll gesund ist und die eigenen Bedürfnisse und Prioritäten wieder ins Bewusstsein rückt. Groll zu hegen schützt uns vor Menschen, die uns nicht guttun. Ein Buchauszug

Aus dem Kapitel: Das Quiz zum Grollfachen Pfad

»Vergib deinen Feinden, aber vergiss nie ihre Namen.« John F. Kennedy

Erinnern Sie sich noch an das Quiz, das Sie vor all den vielen Seiten gemacht haben, als Sie mit diesem Buch anfingen? Sie wissen inzwischen so viel mehr über das Hegen von Groll als seinerzeit, deshalb möchte ich mit Ihnen ein weiteres Quiz machen, um die Sache abzurunden und damit Sie einschätzen können, in welchem Umfang sich Ihre Einstellung zum Groll verändert hat, jetzt, wo Sie alle den Grollfachen Pfad kennengelernt haben.

  1. Jemand, der Ihnen früher immer in Ihre Arbeit dreingeredet hat, ist so von einer Leistung von Ihnen beeindruckt, dass er Ihnen mit einer überdeutlichen Geste den Rücken stärkt. Was machen Sie?
    a) Sie trauen ihm immer noch nicht über den Weg – nach all den wenig hilfreichen Aktionen, die er sich schon geleistet hat. Die haben immer noch Bedeutung.
    b) Sie ändern Ihre Einstellung und heben den Groll auf.
    c) Sie sind verwirrt. Gefällt ihm Ihre Arbeit nun oder nicht?
  2. Sie erfahren, dass eine Lehrerin Ihre Tochter einer Sache beschuldigt hat, die sie nicht begangen hat. Dieselbe Lehrerin hat außerdem (in Abwesenheit Ihrer Tochter) der Klasse gesagt, das Kind habe eine schlechte Arbeitsmoral (was nicht zutrifft). Die Schulleitung glaubte ihr und nicht der Lehrerin und sie wurde nicht bestraft. Die Lehrerin geht ohnehin am Ende des Schuljahrs ab. Was tun Sie?
    a) Sie vergessen das alles. Es ist ja nichts passiert – Ihre Tochter wurde nicht bestraft und die Lehrerin geht sowieso weg.
    b) Sie stellen die Lehrerin in höflicher Form zur Rede – fragen sie, warum sie sich so verhält, weil es Ihnen nämlich vorkommt, als wäre sie äußerst unfair zu Ihrer Tochter.
    c) Sie hegen einen Groll gegen die Lehrerin und lästern mit Ihrer Tochter über sie, damit Ihre Tochter merkt, dass Sie auf ihrer Seite sind.
  3. Ihre Freundin erzählt Ihnen, dass man ihr soeben ihren Traumjob angeboten hat. Sie wussten nicht mal, dass sie sich darum beworben hatte, und sind gekränkt, weil Sie ihr nämlich immer alles sagen. Sie sagt, sie habe es Ihnen nicht erzählt, weil es ihr peinlich gewesen wäre, wenn es nicht geklappt hätte. Was machen Sie?
    a) Sie hegen einen Groll, weil Sie es ihr gesagt hätten, wenn Sie an ihrer Stelle gewesen wären.
    b) Sie hegen keinen Groll, verstehen ihre Gründe und gratulieren ihr. Schwamm drüber!
    c) Sie gratulieren ihr, überlegen aber, ob Sie ihr auch weiterhin so viel anvertrauen wollen wie bisher.
  4. Ihre Mutter hat einen neuen Freund. Sie legt großen Wert darauf, allen Ihren Geschwistern von ihm zu erzählen, nur nicht Ihnen. Später sagt sie dann zu Ihnen: »Ich nehme an, du hast schon von Jim gehört. Ich möchte gern, dass du ihn kennenlernst.« Was tun Sie?
    a) Sie betrachten dies als Übermittlung der Neuigkeit, also ist alles gut – sie hat es Ihnen erzählt, genau wie sie es den Geschwistern erzählt hat.
    b) Sie kommen zu dem Schluss, dass nicht alles gut ist. Sie hat sich darauf verlassen, dass die anderen es Ihnen erzählen. Sie hegen Groll, der auf Ungleichbehandlung basiert (Sie sollen es einfach irgendwie »herausfinden«, während die anderen eine eindeutige Benachrichtigung verdienen). Sie sagen: »Ja, ich habe von Jim gehört – ich würde ihn schrecklich gern kennenlernen« oder auch nicht, je nachdem, ob Sie das vorhaben. Denken Sie daran, dass Sie sich vielleicht emotional vor einer Mutter schützen sollten, die ihre Kinder so ungleich behandelt.
    c) Sie sagen etwas wie: »Wer ist denn Jim? Nie gehört. Wenn du willst, dass ich von ihm weiß, dann solltest du mir von ihm erzählen.«
  5. «Jedes Mal, wenn Sie mit Ihrer Freundin Sheila über etwas telefonieren, das Ihnen wichtig ist, setzt sie ein Zeitlimit. Sie muss immer nach 10 oder 15 Minuten auflegen, um sich um Job/ Kinder/Hund/Ehemann/Ehrenamt zu kümmern. Sheila ist einer der meistbeschäftigten Menschen, die Sie kennen, aber Sie haben genauso viel um die Ohren. Wenn Sheila in aller Ausführlichkeit mit Ihnen über ihre Probleme sprechen will, lassen Sie notfalls andere Dinge ausfallen oder Sie stehen früher auf oder bleiben länger wach, um ihr unbegrenzt Aufmerksamkeit widmen zu können. Was machen Sie?
    a) Sie schicken sie in die Wüste und suchen sich eine neue Freundin, da sie eindeutig eine egoistische Zicke ist.
    b) Sie setzen die Freundschaft fort, mögen sie auch weiterhin, hegen aber einen »Mangel an Gegenseitigkeits«-Groll – Sie vergessen nicht, dass Sheila Ihnen niemals so viel geben wird, wie Sie ihr immer zu geben bereit waren – und passen Ihre Bereitschaft, ihr Zeit zu schenken, entsprechend an. Da Sie ja ebenfalls viel zu tun haben, wollen Sie da wirklich jemandem oberste Priorität einräumen, der nicht das Gleiche für Sie tut?
    c) Sie hegen keinen Groll – wenn Sie freiwillig Zeit und Aufmerksamkeit schenken, dürfen Sie nicht unbedingt eine Gegenleistung erwarten. Sie muss selbst entscheiden, wie lange sie mit Ihnen reden möchte.
  6. Jemand sagt Ihnen, dass Sie den Groll gegen Mark nicht hegen sollten, weil das nicht gut für Sie sei, und dass er die Situation im Übrigen anders beurteile. Was machen Sie?
    a) Sie entgegnen: »Groll ist sehr wohl gut für mich und ich kann dir auch sagen, wieso« – und dann erläutern Sie alles, was Sie in diesem Buch über den Grollfachen Pfad gelernt haben.
    b) Sie hegen einen Groll gegen die Person, die das gesagt hat, da es nicht angeht, dass sie Ihnen vorschreibt, wie Sie über Ihre eigenen Erlebnisse denken und empfinden sollen. Sie sind aber bereit, diesen Groll komplett abzulegen, sollte die Person je zu Ihnen sagen: »Oh mein Gott! Es tut mir schrecklich leid, dass ich das gesagt habe. Das war vollkommen daneben.«
    c) Sie sagen gar nichts – wozu auch? Aber Sie hegen Groll gegen die Person, die so geredet hat, weil sie unrecht hatte.
  7. Jemand sagt Ihnen, Sie sollten sich mit der Person, gegen die Sie Groll hegen, aussprechen, statt ihr im Stillen böse zu sein. Man wirft Ihnen Heuchelei vor. Was tun Sie?
    a) Sie erklären, dass Ihr Groll einen Bezug zu jemandem hat und sich nicht gegen ihn richtet und dass Sie nicht verpflichtet sind, das, was Sie denken/fühlen offen und ehrlich preiszugeben. Sie können denken, was Sie wollen, selbst wenn es negativ sein sollte, und dabei weiterhin freundlich bleiben, solange Sie nicht aktiv lügen und sagen: »Du bist mir der liebste Mensch von der Welt.«
    b) Wenn Ihre Freundlichkeit, die von einem gut verstauten Groll herrührt, gutes Benehmen der anderen zur Folge hat und das wiederum dazu führt, dass Sie den Groll ad acta legen, wunderbar! Wenn nicht, kann die Beziehung aus Ihrer Sicht nicht mehr gekittet werden, da sie grundlegend beschädigt ist. Warum dann also die Verpflichtung zu 100-prozentiger Ehrlichkeit?
    c) Sie fragen die Person, ob sie Ihnen raten würde, Ihre kugelsichere Weste abzulegen, bevor Sie sich mit jemandem treffen, der mit drei Pistolen bewaffnet ist und schon viele Male auf Sie geschossen hat. Sagt sie nein, erklären Sie, dass Ihr Groll Sie auf ganz ähnliche Weise schützt.
    d) Alles oben Genannte.

Antworten

Die korrekte Antwort ist auf alle Fragen b), außer auf die letzte, wo es d) ist. Wenn Sie nicht alle richtig hinbekommen haben, keine Sorge. Hegen Sie deswegen keinen Selfie-Groll. Sie sind schließlich gerade erst mit dem Buch fertig geworden und es dauert eine Weile, bis die Weisheit des Groll-fachen Pfads in Fleisch und Blut übergeht. Folgen Sie nur weiter dem Groll-fachen Pfad, dann wird alles gut! Sollten Sie von mir wissen wollen, warum Ihre Antworten falsch sind, weil Sie nicht einsehen, wie das sein kann, mailen Sie mir unter [email protected] und ich spreche das gern mit Ihnen durch.

Bevor ich mich verabschiede, habe ich noch eine letzte kurze Geschichte für Sie. Ich begegnete einmal auf einer griechischen Fähre einem Guru und erzählte ihm von meinem Groll-Tick und meinem starken Verlangen nach Gerechtigkeit. Er erwiderte: »Glauben Sie mir: Niemand kommt mit irgendetwas ungestraft davon.« Damals dachte ich: »Spinnst du, Mann?«, aber inzwischen weiß ich genau, was er meinte, und ich bin völlig seiner Meinung. Ich kenne einen Mann namens Lancelot (na kommen Sie, es ist mein letzter erfundener Name, da darf ich doch wohl ein bisschen über die Stränge schlagen!). Er fasste den Entschluss, sich für eine schlimme Sache einzusetzen, obwohl er sich leicht hätte anders entscheiden können. Er sitzt jetzt zwar nicht im Gefängnis oder in Sibirien, aber die schlechte Wahl, die er getroffen hat, blieb nicht unbemerkt und als direkte Folge sind ihm jede Menge Hochgenüsse und tolle Dinge entgangen, die er alle hätte haben können, wenn er nur eine ethisch vertretbarere Entscheidung getroffen hätte.

Man vergleiche Lancelots Lage mit der von Zelda, die sich so gütig und ethisch einwandfrei verhalten hat, dass viele ihrer Bekannten ihr mit Freuden zu Gelegenheiten, Geschenken und Unterstützung verholfen haben, die sie ihr niemals geboten hätten, würde sie nicht so eindeutig das Gute verkörpern.

Meine persönliche Erfahrung bestätigt diese Theorie. (An alle Wissenschaftler: Sie brauchen gar nicht erst zu denken: »Das kann sie aber nicht beweisen.« Das weiß ich. Es ist nur eine Theorie. Kein Grund zur Aufregung.) Immer wenn ich etwas Engherziges oder Gemeines tue oder ausspreche, bekomme ich fast postwendend eins auf den Deckel. Aber es passiert auch umgekehrt: Wenn ich etwas Nettes oder Gutes tue oder einem unrühmlichen Impuls nicht nachgebe, widerfährt mir meistens gleich darauf etwas Schönes.

Das ist eine gute Nachricht für uns Anhänger des Groll-fachen Pfades (ich setze jetzt einfach mal voraus, dass sich inzwischen ein paar von Ihnen mir angeschlossen haben). Inwiefern? Weil es bedeutet, dass die Welt – oder was spirituell veranlagte Menschen »das Universum« nennen – genau diesen Pfad beschreitet. Sie müssen es mir nicht blind glauben. Probieren Sie es selber aus, dann werden Sie bald den Beweis dafür finden, dass Jemand oder Etwas da oben anerkennend auf Ihre Groll-Vitrine herunterlächelt und auf den ganzen Groll, der dort ordentlich in seinen Fächern liegt.

Wenn Sie scharf darauf sind, sich ausführlicher mit mir in das Thema Groll zu vertiefen und weitere Groll-Geschichten zu hören, bei denen Ihnen die Spucke wegbleibt, wäre mein nagelneuer Podcast mit dem Titel How to Hold a Grudge möglicherweise etwas für Sie. Sie können ihn ganz umsonst downloaden. Wir sehen uns also vielleicht dort wieder. Und bis dahin …

Grollen Sie wohlbehalten, meine Freunde, und grollen Sie mit Verstand!

Sophie Hannah, Von wegen vergeben und vergessen! © Kailash-Verlag, April 2019

Sophie Hannah
Von wegen vergeben und vergessen!
ISBN: 978-3-424-63182-1
Verlag: Kailash-Verlag


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