Manchmal läuft es besser als befürchtet

Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin benötigte nach einem Schicksalsschlag Unterstützung. Die fand sie schließlich, aber überraschend nicht bei den Freunden, bei denen sie Hilfe erwartet hatte.

Wenn der Tod kommt, bist du allein. Ich dachte immer, dieser Satz gilt nur für den eigenen Tod. Jetzt weiß ich aber, er gilt für jede Berührung mit dem Tod. Mein Vater ist mit nur 59 Jahren an den Folgen eines schweren Herzinfarktes gestorben. Dieser Verlust stellt mein Leben komplett auf den Kopf. Paradoxerweise gibt er mir auch Kraft und Lebensmut.

Mein Vater liebte das Leben. Ich will also getreu dem Lied „Ich liebe das Leben“ weiterleben. Das Leben in vollen Zügen genießen. Seit 5 Jahren lebe ich 400 Kilometer weit weg von meinem Elternhaus und habe mir mein eigenes Leben aufgebaut. Bis vor kurzem dachte ich auch, ich hätte hier sehr gute Freunde und vor allem ein gutes Netzwerk, welches mich in schwierigen Situationen auffängt. Allerdings habe ich mich mit dieser Annahme gewaltig getäuscht.

Ich dachte, ich hätte sehr gute Freunde

Natürlich bekam ich nach dem Tod meines Vaters jede Menge Beileidsbekundungen und super viele Nachrichten. Verschiedene Sprüche wie „Freunde sind wie Sterne, auch da, wenn man sie nicht sieht“ oder „Freundschaft heißt Freundschaft, weil man mit Freunden alles schafft“ bekam ich zu lesen. Am Ende blieb ich aber dann doch mit meinem Verlust allein.

Ein Großteil meiner Freunde hatte noch keinerlei Berührungen mit dem Tod gehabt und ihnen war dieser Umstand äußerst unheimlich. Somit fassten sie mich alle mit Samthandschuhen an. Gleichzeitig war das Verständnis bei vielen groß. Sie wollten wissen, wie es mir geht oder Dinge mit mir unternehmen. Andere wiederum mieden mich und wussten nicht, wie sie mit mir umgehen sollten. Ich sagte ihnen, ich möchte ganz normal weiter machen und auch über die Dinge in ihren Leben Bescheid wissen. Denn die Welt hörte sich ja nicht aufzudrehen, nur weil mein Vater gestorben war.

Ich war allerdings anfangs noch gar nicht in der Lage zu realisieren, was da eigentlich passiert war. Der organisatorische Aufwand war so groß, so dass mir zum Verarbeiten gar keine Zeit blieb. Doch nach einigen Wochen wurde mir schmerzhaft bewusst, wie mein weiteres Leben künftig aussehen würde. Ich fing also an mich mit dem Verlust auseinanderzusetzen.

Niemand wollte mit mir etwas unternehmen

Aber nur ein paar Wochen später wollte niemand mehr von mir das Wort Tod hören, geschweige denn etwas mit mir unternehmen. Ich hörte Sätze wie „Du musst dieses Wort nicht andauernd sagen. Wir wissen doch, was passiert ist.“ Oder „Sei doch bitte nicht so negativ“. Ich war gar nicht negativ, sondern trauerte einfach nur um meinen verstorbenen Vater. Ich wollte auch nicht über den Umstand seines Todes sprechen. Lediglich mich an ihn erinnern und trotzdem weiterhin am normalen Leben teilnehmen.

Die Angebote für Unternehmungen waren auf einmal verstummt. Also fing ich an zu fragen, ob nicht jemand Zeit hätte für einen Spaziergang oder einen Kaffee. Durch Corona hatten viele ja auch deutlich mehr Zeit und vielleicht die soziale Isolation auch satt, dachte ich. Es kamen aber nur Absagen. Der Eine, vor kurzem Vater geworden, hatte verständlicherweise ganz andere Gedanken im Kopf. Die Andere hatte Stress mit ihrem Freund. Die Nächste bandelte grad wieder mit dem Ex-Freund an und wollte doch die Corona Zeit dafür nutzen. Somit saß ich dann doch allein in meiner Wohnung.

Ich bekam noch Dinge zu hören wie „In Zeiten von Tinder, Lovoo und co bist du doch selbst Schuld, wenn du allein bist. Fang doch mal, an dir einen Freund zu suchen.“ Ich wollte aber keine Beziehung, sondern brauchte einfach nur meine Freunde … . Freunde, Mitschüler und Bekannte aus der Heimat, mit denen ich aufgrund der Distanz äußerst selten sprach, kontaktierten mich. Eine langjährige Freundin, die sonst nur wenig schrieb, schickte mir ein Päckchen. Mit einem anderen Freund, der nur sehr wenig Zeit hatte, telefonierte mit mir bis ihm vor Müdigkeit die Augen zu fielen. Er wollte trotz der Distanz für mich da sein.

“Unwichtige” Bekanntschaften waren für mich da

Mir schrieben auch viele Bekannte. Menschen, die ich als „unwichtige“ Bekanntschaft abgespeichert hatte oder die mir bei Instagram folgten. Alles Menschen, mit denen ich sehr lange oder noch gar keinen regen Kontakt hatte. Viele davon erzählten mir über ihre eignen Erfahrungen mit dem Tod. Ein Bekannter, den ich auf einer Skifreizeit kennenlernte (wohl gemerkt waren dort alle zu 70% der Zeit sturzbetrunken), erzählte mir von seiner Freundin, die an Krebs verstorben war. Er lud mich zum Spaziergang mit seinem Hund ein. Es war eine nette Abwechslung und letztendlich sprachen wir über das Leben. Nicht über den Tod.

Eine andere Bekannte, die ich im Studium kennen lernte, erzählte mir von dem Tod ihres Freundes. Wir teilen so viele schöne Dinge miteinander. Sodass ich sie heute als eine gute Freundin bezeichnen würde. Auch eine flüchtige Kneipenbekanntschaft erkundigte sich regelmäßig nach mir und hörte mir zu, wenn ich es brauchte. Die Reaktionen meiner Freunde vor Ort schockierte und enttäuschte mich gewaltig. Ich bin eine Person, die für ihre Freunde alles stehen und liegen lassen würde, wenn sie jemanden brauchen. Man darf aber nicht von sich auf andere schließen. Leider.

Trotzdem ziehe ich eine positive Bilanz. Es gibt sehr viele wunderbare Menschen auf dieser Welt. Oft sind es allerdings nicht die, von denen man es erwartet hätte. Heute bin ich vielen dunklen Momenten allein aber ich weiß: es gibt Menschen, denen ich am Herzen liege und das sind die, die ich vorher nicht als Freunde bezeichnet habe. Ich muss neue Prioritäten setzen und meine Freundesliste im realen Leben ausmisten. Auf geht’s getreu dem Motto: Manchmal sind die Dinge gar nicht so, wie man sich’s vorgestellt hat – sondern besser.

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