Ich hatte eine allzu schöne Vorstellung von dir

Dabei stieß ich trotz allem Willen und allen Bemühungen an meine Grenzen. Ich mochte mich selbst nicht mehr, es nervte mich, meine Stimmung an seinen seltenen Nachrichten festzumachen, immer wieder meinen Stolz hinunterzuschlucken und mich dann doch wieder zu melden. Ich wurde fahrig, unkonzentriert und nervös. Noch nie hatte ein Mann so mit mir sprechen können – ohne ein scharfes Kontra zu kassieren. Mich so stehen zu lassen – und schließlich würde ich doch wieder vor der Tür stehen. Ich erkannte mich selbst nicht wieder.

Der Preis für einen schönen Abend, der objektiv gesehen meist nur noch mittelmäßig war, war zwei Wochen auf das Telefon zu starren und zu hoffen, dass dieses Mal alles anders würde. Meine Freunde konnten die sich im Kreis drehende Geschichte nicht mehr hören. Ich auch nicht. In einem halben Jahr meldete er sich genau einmal bei mir.

Wir gingen niemals aus. Wir wissen nicht, welche Musik der andere mag oder wie man am liebsten den Sonntagmorgen verbringt. Wir trafen uns nie tagsüber oder am Wochenende. Am nächsten Morgen konnte ich nicht schnell genug verschwinden. Nicht einmal rief er an, um zu fragen, ob ich gut heimgekommen war. Er musste das natürlich nicht. Es gab kein Wir, nur ein undefiniertes Gemisch von Sehnsucht nach Nähe, körperlicher Anziehung, gezwungener Spontanität und Bequemlichkeit.

Das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben, schauten wir uns für einen Moment in die Augen. Diese Augen, in denen ich mich früher so verloren hatte, die mich warm und zärtlich, gleichzeitig voller Verlangen und Genuss angeschaut haben, waren kalt und gleichgültig. Lange dachte ich, er wollte noch etwas sagen, das konnte doch nicht das Ende sein. Mein Herz wollte schreien, toben, verhandeln und betteln. Doch es kam nichts. Von keinem.

Diese Sprachlosigkeit hat schließlich mehr weh getan als alles andere. Die Tatsache, völliger Gleichgültigkeit gegenüber zu stehen und dem nichts entgegenbringen zu können. Zu akzeptieren, dass alles nur eine Projektion von Erwartungen und Vorstellungen war, basierend auf Anziehung und der Illusion, dass so ein Gefühl nicht einseitig sein kann.

Zuneigung kann nur aus Interaktion entstehen. Noch nie hat mich meine Empathie so im Stich gelassen. Wie wertvoll muss es sein, nicht für Worte oder Taten gemocht zu werden, sondern einfach nur um des eigenen Wesens willen. Einen Vertrauensvorschuss zu genießen, der kein Schuldverhältnis darstellt. Wie sehr wir das genießen und auskosten hätten können, hätte es nur auf Gegenseitigkeit beruht.


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