Hätte ich verhindern können, dass du gehst?

Mein größtes Glück waren meine Freunde und meine Familie. Sie alle haben mich aufgefangen und getragen all die Tage, haben sich immer wieder aufs Neue meine Gedanken angehört und geduldig meine Wut, Trauer und Verzweiflung ertragen. All das hat mich gestärkt. Aber ich war schon immer ein Kämpfertyp und begann nach wenigen Tagen, meine Aufmerksamkeit auf neue Dinge zu richten. Mein eigenes Leben war mir endlich wieder wichtiger geworden als deines, mein erster Fortschritt. Ich fand heraus, was mir wichtig ist, organisierte meinen Alltag nach meinen Bedürfnissen und lernte, die Vorzüge des Alleinseins zu genießen. Ich stellte fest, dass ich nicht immer jemanden brauchte, um etwas zu unternehmen. Das konnte ich auch alleine. Und so bin ich mittendrin zu lernen, mich selber auszuhalten.

Vielleicht verschwinden eines Tages all die Fragen, die mich noch beschäftigen. Fragen, auf die ich keine Antwort weiß: Hätte ich es verhindern können, dass du gehst? Warum hast du nie mit mir darüber gesprochen, was dich gestört hat? Ich hätte alles für dich getan, hatte mich längst für dich aufgegeben. Nie hast du mir gesagt, dass dich etwas stört, auch nicht, als ich dich danach gefragt habe. Ich frage mich, ob ich hartnäckig bleiben hätte sollen, als du mir nach der Trennung ein Gespräch verwehrt hast. Du wolltest Zeit verstreichen lassen, bis wir uns beide beruhigt hätten. Doch zu diesem Gespräch ist es bis heute nicht gekommen. Du hast mir keine Chance mehr gegeben, etwas zurecht zu rücken, unsere Beziehung vielleicht zu retten. Das Ende war allein dein Entschluss. Wird mich die Frage, warum du wirklich gegangen bist, mein ganzes Leben noch beschäftigen oder wirst du es mir erklären, wenn du so weit bist? Oder steht es mir zu, jetzt, über ein Jahr später, erneut auf dich zuzugehen und dich danach zu fragen? Höchstwahrscheinlich würde mich daran mein eigener Stolz hindern.

Manchmal kehren die Erinnerungen zurück. Aber sie bewirken nichts mehr in mir, ich habe jegliche Gefühle abgestellt. Wenn ich dich sehe, fühle ich einfach – nichts. Ich habe Angst davor, was passieren würde, wenn ich all das wieder zulassen würde. Würde ich dich erneut vermissen? Würde ich wieder beginnen, mich wieder nach dir zu sehnen? Ja, ich habe große Sehnsucht, jedoch nicht nach dir. Vielmehr scheint es das Gefühl zu sein, das du mir vermittelt hast, das ich in deiner Gegenwart verspürt habe. Mir gefiel die Vorstellung, die du von mir hattest. Aber ich muss lernen, mich nicht über die Anerkennung oder Liebe anderer zu definieren.


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