Warum Schreiben heilsam sein kann

Schreiben ist ein starkes Werkzeug, um sich mit seinem Selbstbild auseinanderzusetzen und Erlebtes zu verarbeiten. Tatijana Milovic hat mit “Rewrite Your Life” ein Buch veröffentlicht, indem sie praktische Tipps gibt, wie man die eigenen Geschichten zu Papier bringen kann. Wir haben sie zum Interview getroffen

Eric Hegmann: Was ist Schreiben für Sie? Berufung oder Befreiung?

Tatijana Milovic: Sowohl als auch. In erster Linie geht es mir darum, dem eigenen Herzen zuzuhören und dabei Gefühle und Gedanken frei fließen zu lassen. So befreie ich mich von dem, was in mir kocht, lebt, lacht, weint. Ich schreibe also nicht nur über meine Gefühle, sondern nutze eben jene, um meine ganz persönliche Haltung daraus zu entwickeln. Wenn ich als Schreibcoach auf der anderen Seite stehe, verwandelt sich mein eigener Prozess in eine Berufung. Alle meine Übungen sind eine kondensierte und konzentrierte Form meines eigenen Berufungs- und Befreiungswegs. Und es ist wunderschön und berührend zu erleben, wie ein liebevoller (Schreib-)blick innere Türen zu den eigenen Wünschen und Bedürfnissen öffnen kann.

Wann genau kam eigentlich das Tagebuch schreiben aus der Mode? Oder war das nie weg?

Ich bin immer wieder überrascht, wie viele gern und heimlich schreiben oder es gern tun würden. Selten gibt jedoch jemand zu, ein Tagebuch zu führen, es hat etwas Verschämtes und Ausgedientes. Dabei ist das Tagebuch mehr ein Symbol für die tiefe Vertrautheit und Verbindung zu sich selbst. Das Bedürfnis nach Verbindung ist stets geblieben, nur die Form hat sich gewandelt bzw. es gibt eine größere Auswahl an (digitalen) Plattformen wie Blogs, Facebook etc. Der Unterschied beim klassischen Tagebuchschreiben ist nur, dass man seine innere Welt mit der digitalen Welt vereint, sprich sich selbst veröffentlicht. Es besteht ein wenig die Gefahr, nur die großen Abenteuer und Highlights via Sozialen Medien in die Welt zu tragen, um das eigene Selbstbild zu stärken oder sich zu profilieren.

Schade ist dabei, dass man auf diese Weise das Potenzial, aufrichtig man selbst zu sein, nicht wirklich ausschöpfen kann, weil man eben nur einen sozial ungefährlicheren Part von sich zeigt.  Tagebuch ist also alles andere als oldschool, denn das Bedürfnis nach Kontakt und Austausch ist geblieben – die digitale Share-Funktion ist quasi hinzugekommen. Manchen hilft Kontakt und Interaktion auf einer digitalen Plattform, andere wiederum sammeln Kraft und Klarheit aus dem Schreibprozess hinter verschlossenen (digitalen) Türen.

An wen richtet sich Ihr Buch? An angehende Autoren, die einen Schreibworkshop machen möchten oder an Menschen, die mehr über sich erfahren wollen? Lässt sich das überhaupt trennen?

Das Buch ist für alle, die sich kreativ und neugierig mit sich auseinandersetzen wollen. Trennen will ich das daher ungern, denn beim Rewriting geht es nicht um eine elitäre Kunstform und Perfektionismus, sondern um persönlichen Ausdruck. Als angehender Autor findet man jedoch viele Impulse, um seine Kreativität verstärkt zum Fließen zu bringen und Ideen zu generieren.

Letztlich geht es beim Schreiben immer darum, Herz und Verstand zu synchronisieren und Hemmungen abzubauen. Das gelingt umso besser, je mehr man mit sich im Frieden ist und Vertrauen in seine Ausdruckskraft gewinnt. Und so erkennt man vielleicht, dass es nicht immer der große Roman sein muss, um sich kreativ ausdrücken zu können und zu wollen. Oder man entwickelt über die Beschäftigung mit sich selbst Idee und Plot für einen großen Roman – alles kann, nichts muss, so lautet mein Rewriting-Appell zwischen den Zeilen. Denn (Selbst-)Liebe und Kreativität fängt nicht mit Zwang, sondern mit Neugierde und Offenheit an.


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