Liebe Eltern, auch schlechter Sex ist guter Sex

Besser schlechter Sex als gar kein Sex. Sex muss nicht immer groß zelebriert werden. Sagen die Eltern Liebling und Schatz in diesem Gastbeitrag

Häufig, so scheint es jedenfalls, haben wir Eltern Lust und Erotik ja schon irgendwie hinter uns. Laut neuesten Umfragen spielt Sex in langen Partnerschaften bei einem Drittel der Deutschen kaum noch eine Rolle. Schön blöd, eine Beziehung ist doch keine Freundschaft!

Sex ist die schönste Nebensache der Welt, heißt es. Neben Fußball natürlich. Jede Frau kann „multiple Orgasmen” haben, versprechen vielseitige Frauenmagazine. Ein Mann kann immer, erklären potente Männermagazine.

Das allein ist schon Anspruch genug, für Eltern aber stellt sich vor allem die Frage: Wann ist überhaupt Zeit für diese Nebensache? Denn Frau soll – nachdem sie Mama geworden ist – den Wiedereinstieg in den Beruf nicht verpassen. Und diesen selbstverständlich auch noch mit ihrem Engagement für die Familie vereinbaren. Und Mann, eben erst Papa geworden, darf im Job nun ordentlich ranklotzen, nachdem er zwei Monate seiner Karrierezeit der Elternzeit geopfert hat. Später dann, wenn die Kinder größer sind, Mama sich mit inzwischen artistischer Sicherheit im Spagat zwischen Arbeit, Haushalt, Familie bewegt und dabei stets sämtliche Familienbedürfnisse zu befriedigen weiß, ist sie immer noch nicht multiorgasmusfähig geworden. Und Papa? Hat in seinem unermüdlichen Eifer, genügend Geld für die verwöhnten Mäuler nach Hause zu bringen, versäumt, an seiner sexy Optik und nimmermüden Potenz zu arbeiten.

Sex ist die schönste Nebensache der Welt, heißt es.

Natürlich klingt das alles ziemlich stereotyp, aber es ist allemal typisch. Auch wir sind Eltern im Alltagschaos. Auch wir finden kaum Gelegenheit, uns als Paar wahrzunehmen, geschweige denn, uns als Paar zu zelebrieren. Weil der Tag viel zu früh beginnt. Weil die Kinder zeitig aus dem Haus in die Schule müssen. Weil Papa und Mama in die Arbeit fahren oder einfach viele Dinge zu erledigen haben. Weil der Nachmittag aus Taxidienst besteht, aus Hausaufgaben überprüfen, Schulstoff abfragen, aus Schimpfen, Loben, Streit schlichten und Tränen trocknen. Und der Tag endet spät, weil Abendtermine anstehen, eine Stunde im Fitnessstudio nicht verpasst werden möchte oder, selten genug, sogar mal ein Konzert-, Restaurant- oder Kinobesuch im Terminkalender steht. Ach ja, dazwischen ist ja noch das bisschen Haushalt zu erledigen.

Also: Wo bleibt da Zeit fürs Paarsein? Wo, verdammt noch mal, ist zwischen all diesen Dingen Platz, sich gar als Liebespaar zu fühlen, begehrt, verführt, sinnlich?

Ja, mit Kindern werden Zärtlichkeit und Sex in der Beziehung seltener. Aber so banal es auch klingt: Der Appetit kommt beim Essen. Tatsächlich. Wirklich. Total ehrlich. Und: Gelegenheit macht Liebe!

Sex muss nicht immer im großen Stile zelebriert werden, um beiden Spaß zu machen. Es sind die kleinen Momente des Lebens, die plötzlichen Gelegenheiten, die sich bieten, in denen wir uns unserer Rolle als Mama und Papa auf die Schnelle entledigen, um in die Rollen von Liebhabern und Verführern zu schlüpfen.

Sich auf die Situation einzulassen, gehört ebenso dazu, wie sich zum Sex zu verabreden. Vorfreude ist nämlich etwas Wunderbares. Es lohnt also, sich Paarzeit zurückzuerobern. Vorausgesetzt natürlich, dass gemeinsame Zeit und gemeinsame Sexualität beiden auch wichtig sind.

Unperfekter Sex ist besser als kein Sex.

Aber wie kann man damit beginnen? Wie bricht man diese erstarrte Schicht auf, die sich oft fast unmerklich über das Sexleben gelegt hat?

Sie werden in Ihrem Alltagsleben nicht immer – oder nur sehr selten – die optimalen Bedingungen vorfinden, um optimalen Sex zu haben. Also denken Sie an das Prinzip: Carpe diem. Nutze den Tag. Was man bei uns Eltern im Alltagschaos eher übersetzen sollte mit: Nutze die Gelegenheit. So eine Gelegenheit kann spontan entstehen: Beim Fernsehen. Bei der abendlichen Bettlektüre. Beim Bügeln. Beim Spülen. Versuchen Sie einfach häufiger, Nähe herzustellen, Berührungen hinzunehmen. Ohne Druck, ohne Erwartung, dass daraus gleich ein filmreifer Fick entsteht.

Mindestens genauso wichtig und schön sind die gemeinsamen Verabredungen zum Sex. So wie Sie sich eben auch mit Ihren Freunden ins Kino oder in die Kneipe verabreden oder regelmäßig in Ihre Sportstunde gehen. Vielleicht gelingt es Ihnen ja sogar, Ihren regelmäßigen, gemeinsamen, freien Abend im Terminkalender zu blocken.

Unperfekter Sex ist besser als kein Sex. Der Satz ist gut und wichtig, weil wir immer und überall zu Perfektion getrieben werden. Perfekter Beruf. Perfekte Kinder. Perfekte Ehefrau. Perfekter Ehemann. Perfekte Körper. Perfekte Biografien. Perfekte Sprachkenntnisse. Perfekte Hobbys. Perfektes Wissen. Perfuck! Und vor lauter Angst, dass unsere unperfekten Körper eben keinen perfekten Sex machen, verzichten wir lieber ganz drauf.

Schön blöd, finden wir. So wie wir mal eine Präsentation abgeben, die nicht summa cum laude ist, einen Kunden nicht optimal beraten haben, weil wir im Kopf woanders waren oder heimlich über unsere Kinder seufzen, weil die in der Schule so ganz und gar nicht durch perfekt könnenden Stoff glänzen, so haben wir eben auch mal unperfekten Sex. Keine feuchte Muschi, keinen Orgasmus, keinen richtigen Ständer, keine Lustwoge, die uns die Sinne raubt. Na und? Ist halt so, wird auch mal wieder anders.

Wer sind Liebling & Schatz? Hinter dem Pseudonym stecken die beiden Journalisten Birgitt Hölzel und Stefan Ruzas. Sie haben das Buch “Höchste Paarungszeit” veröffentlicht.


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