Beziehungsgespräche im Delirium

Wie verändert sich eine Beziehung, wenn man den Wein zum Essen einfach mal weglässt? Unser Autor und Designer Jan Voß hat es ausprobiert.

Wie verändert sich eine Beziehung, wenn man den Wein zum Essen einfach mal weglässt? Unser Autor und Designer Jan Voß hat es ausprobiert

“Willst Du nicht bei mir einziehen?”, fragte ich nach einem meiner Pub-Abende. Eine überstürzte Handlung, möchte man meinen. Die Antwort ließ auch einige Tage auf sich warten. Sie erfolgte jedoch wohl überlegt und nüchtern.

In der Dating-Phase (die recht lange dauerte) tranken wir quasi jedes Mal, wenn wir uns sahen. Man will ja locker werden. Und mit einem Glas Gin-Tonic fließen die Worte viel leichter. Man entdeckt viele Gemeinsamkeiten, die man sonst nicht gefunden hätte – weil sie nüchtern vielleicht auch gar nicht existieren. Unstimmigkeiten verschwimmen im diffusen Dunst des Alkohols. Kurz gesagt: Alkohol erleichterte uns das Date und half, den typischen Smalltalk zu umschiffen.

Aber Vorsicht: So klug ist es gar nicht, bei Dates zu trinken! Denn um eine starke Bindung aufzubauen, ist diese Larifari-Heiterkeit des Rausches kontraproduktiv. Am Abend nimmt man vieles auf die leichte Schulter. Am Morgen danach hat der Kater nicht nur den Alkohol sondern auch eine Fülle an spannenden Details abgebaut.

Wie kann also aus einer so ungesunden Aktivität eine gesunde Beziehung entstehen?

Jedenfalls kann man einiges über seine Beziehung lernen, wenn man den Schnaps nicht die Kehle, sondern den Abfluss herunterspült – oder die Flasche verschlossen lässt. Dass Alkohol Menschen verändert, sollte niemandem neu sein. Wenn man sich aber nicht mehr hinter ihm verstecken kann, findet man ziemlich schnell heraus, wie der Mensch hinter der Schnapsfahne wirklich ist. Ich für meinen Teil mag den Menschen an meiner Seite immer, selbst wenn er nüchtern ist.

Mit dem Alkohol fließen auch die Gespräche leicht von der Hand, es sprudelt nur so aus einem heraus. Gerne auch mal die unliebsame Wahrheit: Emotionen werden verstärkt, Streit ist vorprogrammiert. Wie viele Paare haben Sie im Freundeskreis, die sich während eines feuchtfröhlichen Abends zoffen? Denken Sie mal drüber nach.

Die meisten Beziehungsgespräche führte ich angetrunken. Eben weil es leichter fällt. Nur ist es problematisch, wenn man sich von seinen Emotionen leiten lässt, wichtige Teile des Gespräches am nächsten Morgen vergessen hat oder man währenddessen sogar einschläft. Plötzlich potenziert sich der Streit. Daher rate ich von Beziehungsgesprächen unter Alkoholeinfluss ab. Dringend!

Lösungen finden Sie nüchtern viel besser und schneller

Die Flasche Bier entführt einen schnell aus diesem Beziehungskram. Aber die Probleme, vor denen man flieht, sollte man angehen! Die Probleme in Alkohol ertränken ist sinnlos, denn Alkohol konserviert.

Was spricht für das nüchterne Gespräch? In erster Linie der klare Kopf. Man weiß, was man sagen will. Wortfindungsstörungen sind Schnaps von gestern. Das nüchterne Gespräch ist viel echter, viel realer und vor allem langlebiger! Außerdem kommt erst so ein wirkliches Gespräch zustande, man ist nämlich gezwungen miteinander zu interagieren. Zuhören. Reagieren. Was eben alles zu einem Gespräch gehört. Mich setzt sowas immer unter Druck, denn im adäquaten Reagieren bin ich nicht sonderlich gut.

Spannend wird es nun bei der Abendplanung. Plötzlich muss man Dinge abseits der Flasche finden, die beide Partner mögen. Man macht sich Gedanken über gemeinsame Aktivitäten. Vorzugsweise schöne, an die man sich gerne erinnert. Das beste dabei: Diese Erfahrungen hat man am nächsten Morgen nicht wieder vergessen! Ein Glück! Denn gemeinsame Erinnerungen schweißen zusammen.

Prinzipiell habe ich im Verlaufe meiner Beziehung übrigens festgestellt, dass man mit der Zeit eh weniger trinkt. Früher oder später muss man sich also wirklich kennenlernen und miteinander beschäftigen. Trotzdem bedeutet eine nüchterne Beziehung keineswegs Ernüchterung!


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