„Kinderfrei statt kinderlos“ – ein Buchauszug

Insofern kann nicht verwundern, dass Benatars Thesen von einer bestimmten Fraktion als lächerlich oder exzentrisch abgestempelt werden – im bequemen Bewusstsein, mit der Mehrheit zu schwimmen. Allein die Gewissheit, Teil dieser Mehrheit zu sein, genügt manchem offenbar als Berechtigung, konstruktiv-kritische Stimmen abzuwerten.

Gerade die vielbeschworene Intuition lässt Benatar aber nicht gelten, da sie zeitlichem Wandel unterliegt und zudem auf Vorurteilen beruht, die wir auch in anderen Lebensbereichen nicht zum (alleinigen) Ausgangspunkt unseres Handelns machen. Er fragt danach, was das für eine Intuition sein solle, die die Verursachung von Leid einschließe. Grundlage seiner Überlegungen sei dabei keineswegs eine Misanthropie, sondern vielmehr das Gegenteil – die Überzeugung, dass es gelte, so wenig Leid wie möglich zu verursachen. (5)

Man fragt sich, warum die Frauen, die Schritt 1 schon geschafft und erkannt haben, dass Mutterschaft – auch und gerade in Deutschland – kein Zuckerschlecken ist, nicht folgerichtig Schritt 2 tun – und einfach keine Kinder bekommen. Gerade als Feministinnen. »Emanzipation hört auf, wenn die Kinder kommen«, geben viele Frauen zu. (6)

Leslie Ashburn-Nardo betreibt in den USA seit 40 Jahren Forschungen über Kinderfreie. Eine ihrer Studien erschien 2015 in der Zeitschrift Demography und beleuchtet die Folgen der Mutterschaft. Dort stellte sie fest, dass die Auswirkungen eines Neugeborenen für die Betroffenen gravierender sind als diejenigen von Scheidung, Arbeitslosigkeit oder gar dem Tod des Partners. Auch in anderen Publikationen der Wissenschaftlerin kann man nachlesen, dass sich Kinder negativ auf die jeweiligen Partnerschaften auswirken. Und dennoch konstatiert auch sie, dass viele Amerikaner sogar mit »moral outrage« auf Leute ohne Kinder reagieren. Man ist sich scheinbar darüber einig, dass man ungeachtet der massiven Einschränkungen, die die Elternschaft mit sich bringt, da eben irgendwie hindurch müsse. Aber muss man wirklich? Warum? Weil man sich dem Konformitätsdruck beugen möchte? Weil es anstrengend ist, gegen den Strom zu schwimmen? Viele stellen sich diese Fragen nicht. Die Normalbiografie beinhaltet nun mal das Gründen einer eigenen Familie. Punkt.“

Verena Brunschweiger
Kinderfrei statt kinderlos
ISBN: 978-3-96317-148-2
Verlag: Büchner-Verlag

(3) Siehe beispielsweise das Manifest der Gruppe auf https://grist.org/article/2010-03-30-gink-manifesto-say-it-loud-im-child  free-and-im-proud/, letzter Zugriff: 6.12.2018.
(4) Tobias Haberkorn: Wer nicht geboren wird, hat keine Probleme.  Zeit online, 15.4.2018, presse Endnoten 149
(5) Es gibt auch ein Buch von Henriette Mantel mit eben diesem  Titel: No Kidding. Women Writers on Bypassing Parenthood. 2013. Es sammelt lustige Geschichten von und mit Frauen, die sich für den kinderfreien Lebensstil entschieden haben.
(6) Die offenkundige Verbindung zwischen Klima und Familienplanung – und warum wir nicht darüber reden: Pronatalistische Politik ist immer dann en vogue, wenn die Führer sich bedroht fühlen – durch die wirtschaftliche oder militärische Stärke eines Nachbarn.


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