An den Piraten, der mir die Schattenseiten der Liebe zeigte

Zwischendrin hatten wir uns auch mal vier Wochen nicht gesehen, da du in Amerika warst und ich einen Sommerjob in Italien hatte. Ich habe dir eine Postkarte mit nur einem Kuss ohne Absender drauf geschickt – du hast dich gefreut. Wir haben uns vermisst und täglich geschrieben. Ich begleitete dich und deine Freunde spontan mit einer Freundin zu einem Festival an einem See in Berlin. Zwei wundervolle Tage Camping bei bestem Wetter.

Da waren so viele kleine Dinge – die für mich schon eine Beziehung waren. Die für mich mehr waren als alles andere bisher. Geredet haben wir über so etwas natürlich nie.

An meinem Umzugstag warst du in der Stadt. Aber nicht bei mir. Was meine Familie sehr erstaunte. Natürlich kannte jeder schon „meinen Piraten“. Es waren ja schon acht Monate vergangen. Abends sahen wir uns wieder mit Freunden in einem Club und natürlich habe ich bei dir übernachtet.

Das ist jetzt schon so lange her. Vier Jahre. Wir haben oft darüber gerätselt, wie es wohl für mich sein wird, in Berlin zu studieren. Ich hätte nie gedacht, dass die Realität eine sehr andere sein würde.

Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, habe ich dir morgens einen Kuss gegeben und bin aus deinem WG-Zimmer gegangen. Verliebt wie immer. Alles war wie immer.

Ich hörte nie wieder etwas von dir. Von einem Tag auf den anderen hast du mir nicht mehr geschrieben, auf keine Anrufe und Nachrichten reagiert und donnerstags nicht mehr von einem Flughafen geschrieben, dass du heimfliegst.

Ich kannte Ghosting nicht. Ich kannte auch diese Schmerzen nicht. Ich war erst knapp zwei Monate in Berlin und es gab keinen Weg zurück. Ich lebte in einer Stadt, in der ich nur wenige Freunde hatte und mich alles an dich erinnerte. Dein Bürogebäude, auf dem du mir eines Abends im Dunklen die Dachterrasse gezeigt hast …

Ich hätte mir nie im Leben vorstellen können, dass ein Mensch von heute auf morgen nicht mehr mit einem redet. Dass es so etwas überhaupt gibt. Und dieser schleichende Prozess, in dem man es realisieren muss. Und das nach einem Abschiedskuss ohne besonderen Vorfall wie Streit oder heikle Themen. Ich konnte nur noch zusehen, wie du donnerstagabends online warst und womöglich wieder an einem Flughafen saßt.


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