Je mehr ich leide, desto mehr liebe ich

Er tat seine nächtliche Aktion damit ab, dass ich zu viel von ihm erwarte und er sich lieber nicht meldet, als mir unser Date abzusagen und sich der Diskussion stellen zu müssen. Wie bitte? Für mich war klar, dass ich ihm in keiner Weise wichtig war und er nicht die Gefühle verspürte, die er ständig beteuerte. Wie sollte es aber anders sein, habe ich ihm auch das verziehen und geglaubt. Im Nachhinein aber denke ich, zu diesem Zeitpunkt konnte ich bereits kein Vertrauen mehr zu ihm aufbauen. Vielleicht hat er das bemerkt und fragte mich deshalb, ob ich zu ihm und den Kindern ziehen möchte, was ich tatsächlich wollte. Der Grund war wohl meine Unsicherheit und Angst vor der Zukunft, weil ich zu dieser Zeit noch in psychologischer Behandlung war und viele Kämpfe mit mir auszutragen hatte. Ich wollte zu ihm ziehen, aber ohne meine Sicherheit aufzugeben, die ich mir in meiner kleinen Wohnung geschaffen habe. Das Hintertürchen wollte ich mir offenhalten und hatte nicht vor, mein Leben nur nach ihm auszurichten, auch wenn ich mich sehr danach sehnte.

Aber sein Verhalten mir gegenüber war noch immer viel zu abweisend und desinteressiert. Meine Meinung kümmerte ihn kaum, es ging viel um seine Kinder und deren Mutter, seine Arbeit und seine eigene Mutter. Wir haben kaum etwas unternommen, es war ein reines Familienleben und meine Freunde fragten mich schon, ob dies wirklich das ist, was ich möchte und mich dauerhaft glücklich macht. Das hat es nicht, aber ich habe den Schein nach außen weiter gewahrt. Es ging mir selten gut und ich habe sehr gerne gelitten für ihn. Es gab eine große Sehnsucht nach Schmerz, Selbstaufgabe, Leidenschaft und Lust in mir, die er nicht erfüllen konnte, aber wahrscheinlich war es sein narzisstisches Verhalten, das diese Sehnsucht zum Teil ausfüllte.

Er hat sich nie die Mühe gemacht, mich zu verstehen, hat mir kein Stück vertraut, war nicht da, wenn ich ihn gebraucht hätte, hat mich ständig angelogen, meine Ängste und Zweifel, Sorgen und Traurigkeit hat er nicht sehen wollen. Ich steckte fest in einer großen Krise, aber er war nicht bereit, mich zu unterstützen, sondern hat mich ausgelacht und nicht ernst genommen. Natürlich habe ich mich irgendwann zur Wehr gesetzt und ihn von seinem Podest, auf das ich ihn gestellt hatte, heruntergehoben, nein, heruntergeschossen! Ich hatte so viel unausgesprochene Wut und Traurigkeit in mir, dass ich die Geduld verlor und ihn und uns infrage stellte. Ich war immer da für ihn, habe ihn unterstützt und gehalten, wenn es ihm schlecht ging. Hatte Verständnis für ihn und seine Geschichte, war ihm Freundin und Geliebte, habe ihm Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Aufrichtigkeit, Respekt und Liebe entgegengebracht. Mir haben oft die Worte gefehlt und ich konnte mich nur schwer öffnen, das ist mir bis heute unerklärlich. Aber ich hätte alles für ihn getan, war besessen von ihm und auf dem besten Weg, mich selbst zu verlieren. Doch ich bin nicht zu ihm gezogen, sondern bin nach Asien geflogen. Am Flughafen sagte er mir wieder einmal, wie sehr er mich liebt und ich habe ihm auch das noch geglaubt. Er bezeichnete mein Gehen als egoistisch, weil ich ihn und die Kinder damit im Stich gelassen hätte, aber er sah nicht, dass er selbst der egoistische Teil war, der mich dazu gebracht hat, meinen eigenen Weg zu gehen. Sicher habe ich Fehler gemacht, aber der größte war, ihn mehr zu lieben als mich selbst. Und ich habe ihn sehr geliebt, genau wie seine Kinder. War bereit, alles zu geben, um ihn glücklich zu machen, wollte auf Asien verzichten, zu ihm ziehen und dort eine neue Ausbildung machen und hätte mich wieder selbst dabei vergessen – bis zum Schluss. Doch den Schlussstrich hat er dann gezogen, als ich in Asien meinen Rückflug verpasst hatte.


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