unerhört: Sex als Pflichtveranstaltung

Wie kann der Spaß ins Schlafzimmer zurückkommen, wenn ein Partner Sex als Pflichtveranstaltung erlebt?

Antwort: Den einen Tipp gibt es nicht, aber dafür viele verschiedene Werkzeuge aus unterschiedlichen Richtungen der Sexualtherapie

Zunächst einmal zum Klischee: die Männer wollen immer und werden von Frauen immer zurückgewiesen. Das kann ich, ebenso viele andere Kolleginnen nicht oder nicht mehr bestätigen. In der Supervision höre ich auch von anderen Therapeut:innen, dass die Verteilung mittlerweile viel häufiger genau so wäre wie bei diesen beiden.

Nun haben Menschen unterschiedlich viel Lust auf Sex. Das bedeutet leider, dass dann ein Partner häufiger die Initiative ergreift und deshalb häufiger zurückgewiesen wird. Das ist für den Zurückgewiesenen irgendwann sehr schmerzhaft und frustrierend. Und es bleibt nicht aus, dass das persönlich genommen wird. Bin ich noch attraktiv? Bin ich noch begehrenswert? Werde ich noch geliebt? Und wenn dann der Partner auch noch masturbiert oder Pornos ansieht, sind Selbstzweifel eigentlich vorprogrammiert. 

Für den anderen Partner ist die Situation aber ebenfalls schwierig. Lust lässt sich nicht per Knopfdruck einschalten. Umso weniger, wenn Druck und Stress die Vorfreude schmälern. Und nichts ruiniert eben Leidenschaft gründlicher als Druck und Stress. Der Partner mit weniger Lust verliert dadurch die Lust noch mehr, leidet unter der Erwartungshaltung und performt dann nur, um die Partnerin nicht zu verlieren.

Ich erlebe diese Dynamik in der Praxis häufig

Leider gibt es dafür keinen einfachen Tipp, der sich mal eben so in einem Video oder auch einem Artikel geben lässt und der dann garantiert funktionieren wird. Mein Tipp ist: Sucht euch einen Sexualtherapeuten oder eine Sexualtherapeutin eures Vertrauens, denn die Gefahr ist groß, dass ihr alleine eher diese Dynamik verstärkt als sie auflöst. 

Aber ich will beschreiben, was denn in einer solchen Sexualtherapie geschehen könnte. Ich sage extra KÖNNTE, denn das kommt auf den Therapeuten oder die Therapeutin an und ebenso auf die Ausrichtung. Systemische Sexualtherapie beispielsweise geht über einen anderen Ansatz als die Emotionsfokussierte Sexualtherapie oder eine eher körperorientierte Methode wie Sexocoropral. Ich finde ja, das lässt sich alles wunderbar kombinieren, also integrativ betrachten. Jeder muss für sich herausfinden, was für sie oder ihn am besten funktioniert.

Gefühle der Angst

Einmal könnte man sich beispielsweise diese Dynamik ansehen und es ließe sich feststellen: Beide Partner agieren aus einer großen Angst heraus. Zum einen ist da die Furcht, nicht attraktiv zu erscheinen und als Liebhaber den eigenen Erwartungen und denen des Partners nicht zu genügen. Das ist allerdings nur eine emotionale Ebene. Darunter liegt noch eine Weitere. Nämlich die Angst davor, dass die Verbindung zum Partner unterbrochen wird. Der Wunsch nach Sex steht hier nicht nur für den Wunsch nach Leidenschaft, sondern vor allem nach Verbindung. Schließlich ist Sex ja auch Zusammengehörigkeit.

Angst prägt auch den Partner, der immer wieder zurückweist und der sich durchaus bewusst ist, dass er die Erwartungen nach Zärtlichkeit und Intimität seiner Partnerin nicht erfüllen kann. Er ist permanent in einer Lauerstellung und unter Druck. Er fühlt sich schlecht, aber auch darunter liegt eine weitere Ebene, nämlich ebenso die Angst, die Verbindung zu ihr nicht aufrecht erhalten zu können, deshalb ist seine Strategie: Performance, Wünsche erfüllen, dabei die eigenen hintenanstellen.

Wenn beide Partner also von der Angst getrieben sind, dass ihre Verbindung auseinandergeht, dann könnte in der Sexualtherapie der Fokus darauf gelegt werden, wie diese Angst durch ein Gefühl von Sicherheit ersetzt werden könnte. Was könnten die Partner tun, damit sich beide wieder in einer sicheren Verbindung erleben. Ist die Angst weg, ist oft auch das sexuelle Problem weg, weil in einer angstfreien Atmosphäre besser verhandelt werden kann, was sich beide tatsächlich wünschen.


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