Wie ist es eigentlich, wenn dein Freund plötzlich im Rollstuhl sitzt? 

Gesundheit ist ein Geschenk, das leicht zu selbstverständlich genommen wird. Dabei kann eine Krankheit das ganze Leben verändern. Oft so sehr, dass nicht einmal die Liebe genug Halt gibt. beziehungsweise-Autorin Nina Ponath hat für uns die bewegende Geschichte ihrer Freundin aufgeschrieben. 

Manchmal war es zwischen Timo und mir auch immer noch richtig witzig

Wir haben versucht, das Beste aus der Behinderung zu machen. Wenn wir Pfandflaschen abgegeben haben, und das so ein riesiger Sack war, durfte ich ihn zum Beispiel immer auf Timos Beinen abstellen. Die Leute haben dann immer ganz verstört geguckt, weil ich ihm die Flaschen so auf die Beine geworfen haben. Die dachten wahrscheinlich, er sei querschnittsgelähmt, und ich würde mir denken „Ach, der merkt ja eh nichts“. Das fanden wir beide lustig.

Wir haben auch manchmal darüber geredet, wie es wäre, ein Kind zusammen zu bekommen. Ich bin jetzt 33 und zu dem Zeitpunkt waren wir schon sechs Jahre zusammen. Die Überlegung stand deshalb im Raum. Timo meinte „Helfen kann ich dir vom Rollstuhl aus nicht wirklich, aber ich kann das Baby auf den Arm nehmen und mir hier vor die Brust anschnallen.“ Es wäre dann mit ihm zusammen im Rollstuhl gefahren.  

Wäre, denn unsere Beziehung litt zunehmend unter Timos Krankheit, an unserer Art, damit umzugehen und nicht zuletzt auch an völlig anderen Dingen. Keine Frage, ich wollte für Timo da sein, und es störte mich eigentlich auch nicht, wenn Timo nur noch auf der Couch saß, während ich neben meinem Job den ganzen Haushalt allein stemmen musste. Ich wusste ja, dass er es nicht anders konnte. Was mich aber zunehmend störte, war, dass ich dabei einfach nicht so lässig, cool und entspannt sein konnte, wie ich es mir von mir gewünscht hätte. Ich war in dieser Rolle nicht mehr die Person, die ich eigentlich sein wollte, und wahrscheinlich ging es Timo nicht doll anders. 

Jedenfalls kam ich durch die Multiple Sklerose nicht mehr an ihn heran

Wenn ich ihn bat, mir beim Aufräumen zu helfen, oder seine Flasche Bier wegzustellen, machte er es nicht, und hielt mir vor, ich nähme keine Rücksicht auf ihn. Er schien mir mental ständig abwesend zu sein, so beschäftigt mit seinem Nicht-Beschäftigt-Sein, dass ich nicht zu ihm durchdrang. Ich fühlte mich – zwischen dem Kochen, Putzen und meinem eigenen Job – wahnsinnig verantwortlich für ihn, was ihm überhaupt nicht gefiel. Wenn ich ihn zum Beispiel daran erinnerte, ausreichend zu trinken, antwortete er patzig „Ja, Mutti!“. Was ich auch sagte, war falsch. Das belastete mich.

Getrennt haben wir uns aber aus anderen Gründen. Indirekt hängen diese vielleicht auch mit der Krankheit zusammen, weil Timo wieder viel mit anderen Frauen schrieb, angeblich eben, weil er nicht mehr rausgehen kann und ihm soziale Kontakte fehlten. Ich kann das alles verstehen, aber dann passt es leider nicht. Die Beziehung, die fehlende Wertschätzung machten mir zu schaffen.  

Ich weiß auch nicht genau, wie es wäre, weiter mit ihm zusammen zu sein und mitzuerleben, wie er mehr und mehr zum Pflegefall wird: Wie ist es, den Partner zu baden, ihn anzuziehen und ihm den Hintern abzuwischen? Könnte ich das überhaupt? Ich denke auf jeden Fall, dass ich mir Hilfe geholt hätte. Pflegepersonal, das wirklich ausgebildet ist, denn das ist man als Partnerin nicht. Weder physisch noch psychisch.

Wenn ich meinen Freundinnen jetzt erzähle, dass Timo und ich nicht mehr zusammen sind, habe ich Angst, dass sie denken, die Behinderung sei der Trennungsgrund. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob man das überhaupt verurteilen kann. Beim Kennenlernen ist die Sache noch anders, irgendwie klarer: Da kann man sich überlegen, ob man jemanden, der so krank ist, so nah an sich heranlassen will, oder ob die Angst, denjenigen wieder zu verlieren, überwiegt. Wenn man erst mal zusammen ist, stellt man sich diese Frage nicht. Man wächst da rein, und sieht, ob es klappt oder nicht, wie in jeder anderen Beziehung auch.

Ich fühle mich auch jetzt noch verantwortlich für Timo – aber auch das tut man wohl, wenn man jemanden so sehr in sein Herz gelassen hat. Ich denke nicht, dass sein Rollstuhl da eine große Rolle spielt.  


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