Wie ist es eigentlich, wenn dein Freund plötzlich im Rollstuhl sitzt? 

Gesundheit ist ein Geschenk, das leicht zu selbstverständlich genommen wird. Dabei kann eine Krankheit das ganze Leben verändern. Oft so sehr, dass nicht einmal die Liebe genug Halt gibt. beziehungsweise-Autorin Nina Ponath hat für uns die bewegende Geschichte ihrer Freundin aufgeschrieben. 

Als ich meinen Freund Timo kennenlernte, hatte er schon eine Ärzte-Odyssee hinter sich. Timo ging damals noch gern unter Leute und war ziemlich aktiv, weshalb es mich auch wunderte, dass er mir irgendwann im Vertrauen erzählte, er habe früher unter Agoraphobie, einer Panikstörung gelitten und fühle sich auch heute draußen noch manchmal „unsicher“. Manchmal hatte er wohl das Gefühl nicht richtig gehen zu können. Er fühlte sich wacklig auf den Beinen und er stolperte auffällig häufig. Wenn er sich konzentrierte, fiel seine Gangunsicherheit nicht auf, deshalb meinte sein Arzt, das Problem sei psychosomatisch.   

Unser Alltag war davon weitestgehend unberührt

Wir gingen wie andere Paare aus, kochten mit befreundeten Pärchen oder trafen uns mit unseren Freunden am Tempelhofer Feld. Wir hatten uns über eine Dating App kennengelernt. Dort war er schon seit Jahren aktiv, weil es ihm leichter fiel, online mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Ist ja auch klar: Dafür musste er sich keinen unangenehmen, unberechenbaren Situationen stellen und konnte bequem von zu Hause aus schreiben.

Als wir uns dann dateten, war schnell klar, dass das mit uns etwas Ernstes werden würde. Timo erzählte mir gleich offen von seinem Problem, und dass er sich von seinen Ärzten nicht ernst genommen fühlte. Er hatte schon so vieles versucht, aber er wurde immer wieder nur belächelt. „Sie sind gesund. Das Problem bei Ihnen ist psychisch.“ Damals erkannte keiner seine Krankheit.  

Die ersten Jahre unserer Beziehung lebten wir beide in dem Glauben, dass Timo eben agoraphobisch oder hochsensibel sein müsse. Wenn wir etwas unternahmen, war er schnell erschöpft. Das war für mich teilweise schwierig, weil ich neu in der Stadt war. Ich war nach meinem Master von Hamburg nach Berlin gezogen, hatte hier gerade erst Fuß gefasst, und ich hatte Lust, neue Leute kennenzulernen. Timo hat sich mir zuliebe immer wieder aufgerafft zu gemeinsamen Kochabenden oder Drinks mit Freunden und ab und zu waren wir sogar feiern.

Wenn jemand angeblich unter Panikattacken leidet, und deshalb in der Öffentlichkeit immer wieder mal anfängt zu zittern und die Fassung zu verlieren, geht man ja eigentlich davon aus, dass diese Person eher unsicher und introvertiert ist. Das war bei Timo aber nicht so. Er mochte die Aufmerksamkeit und genoss es immer sehr, im Mittelpunkt zu stehen.  

Mein Freund hat keine Panikstörung – er hat Multiple Sklerose und ist inzwischen gehunfähig 

Die Diagnose ‚MS‘, Multiple Sklerose, bekam Timo vor drei Jahren. Multiple Sklerose ist eine Nervenkrankheit, die in Schüben auftritt, und bei der das Gewebe, das die Nerven im Gehirn und die Wirbelsäule umgibt, nach und nach zerstört wird. Deshalb das zeitweise Zittern, deshalb die Gehschwierigkeiten.

Bei Timo war die Multiple Sklerose inzwischen schon so weit fortgeschritten, dass Teile seines Gewebes komplett zerstört worden war. Die Diagnose war natürlich ein Schock, aber ich habe in dem Moment nicht darüber nachgedacht, was nun alles noch passieren würde. Das war ja erst mal nur eine Diagnose, und ich wusste noch nicht, was kommen würde. 

Es klingt vielleicht naiv, und normalerweise bin ich eigentlich eher der Typ Mensch, der sich schnell Sorgen macht, aber da habe ich nicht so negativ gedacht. Ich habe das auf mich zukommen lassen und einfach versucht, für Timo da zu sein. Das macht eine Beziehung ja aus, dass man in guten wie in schlechten Zeiten zusammenhält. Teamwork, sich zu unterstützen und den anderen zu begleiten. Ihn zu verlassen, stand deshalb überhaupt nicht zur Debatte. 


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