Regression: Eine Gefahr für Beziehungen?

Regression an sich ist weder gut noch schlecht. Wir alle regredieren von Zeit zu Zeit, werden wieder zum verletzlichen, traurigen oder wütenden Kind, das von anderen versorgt, getröstet, in Schutz genommen oder verwöhnt werden möchte. Das Erwachsensein besteht nie aus dauerhafter „Reife“. Muss es auch nicht. Regression kann allerdings in Paarbeziehungen unter bestimmten Umständen zu einem echten Problem werden. Hierzu weiter unten mehr.

Und was ist Progression?

Progression ist der Gegenbegriff zur Regression. Unter Progression („Vorwärtsschreiten“, Fortschritt) versteht man die Entwicklung zu größerer Reife bzw. einem Erwachsensein, das es einem ermöglicht, mit den Herausforderungen des Lebens fertig zu werden. Progression wird meist als etwas Positives betrachtet, da uns reifere Entwicklungsstufen mehr Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Lebensumstände ermöglichen. Aber ganz so einfach ist das dann doch alles nicht, wie sich gleich zeigen wird …

Regression in Beziehungen – gefährlich?

Jürg Willi galt als der erste Paartherapeut im deutschsprachigen Raum. Mitte der 1970er Jahre veröffentlichte er einen Klassiker im Bereich der Paartherapie: Die Zweierbeziehung. Die Konzepte Regression und Progression spielen hierin eine zentrale Rolle. Seine Beobachtung: Die meisten Menschen in Partnerschaften haben regressive und progressive Tendenzen, bei manchen überwiegt jedoch eine Seite, teilweise sogar derart stark, dass man z.B. von rein regressivem Verhalten und Erleben sprechen könnte. Solche Partner haben oft zahlreiche bzw. schwere (früh-)kindliche Frustrationen und Traumata erleben müssen, so dass sie nun als Erwachsene viel Zeit in „regressiven Zuständen“ verbringen, quasi um im Hier und Jetzt das nachzuholen und vom Partner zu erhalten, was sie damals von wichtigen Bezugspersonen nicht erhalten haben. Man denke  an Mark aus obigem Fallbeispiel.

Doch auch die Progression kann „einseitig“ sein, und zwar immer dann, wenn erwachsene Personen z.B. verletzlich-schwache Verhaltensweisen und Erlebenszustände als „kindlich“ abwehren und sich gewissermaßen ins Erwachsensein flüchten. Möglicherweise trifft dies auf Cynthia zu.

Dies macht deutlich, dass Regression nicht einseitig als negativ und Progression als positiv betrachtet werden sollte. Es kommt vielmehr darauf an, wie starr man in ihnen verharrt, und in Paarbeziehungen auf das partnerschaftliche Ergänzungsverhältnis. Bei „Manthia“ passen ihre re- und progressiven Tendenzen offenbar wie Schlüssel und Schloss zusammen (auch „Kollusion“ genannt). Hier von einer gesunden Beziehungskonstellation zu sprechen, wäre jedoch falsch. Denn beide besetzen konträre Pole (Rückwärtsgewandtheit vs. Vorwärtsgewandtheit) und verstärken sich hierdurch gegenseitig in ihren unflexiblen Mustern, werden langfristig immer frustrierter, weil sie in Beziehungsrollen gefangen sind, die es ihnen unmöglich machen, das zu erlangen, was sie wirklich bräuchten: innere Flexibilität bzw. die „Integration“ der abgewehrten Tendenz.

Viele Paartherapeuten sind daher der Ansicht, dass eine teilweise Regression in Beziehungen unproblematisch ist. Jeder Mensch regrediert manchmal, niemand von uns hat in seiner Kindheit und Jugend alle Bedürfnisse befriedigt bekommen und konnte ohne Frustrationen ins Erwachsenenalter „voranschreiten“. Gefährlich wird es erst dann, wenn sich zwei Menschen finden, die relativ starr konträre Pole – also Progression und Regression – einnehmen. Oberflächlich betrachtet scheinen sich solche Paare zwar perfekt zu ergänzen, langfristig verstricken sie sich jedoch in einem gefährlichen Abhängigkeitsverhältnis. Denn der regredierende Part braucht den progressiven und umgekehrt, und wehe, einer spielt das Spiel nicht mehr mit oder das „System“ wird von außen gefährdet …

Diese Verstrickung kann wie erwähnt dadurch aufgelöst werden, dass die jeweils abgewehrte Tendenz integriert wird, Betroffene also lernen, beide Tendenzen in sich zuzulassen. Dies gelingt oft nur mit Hilfe von außen und führt meist zu einem Ende der „Kollusions-Beziehung“, da diese ihre Stabilität vor allem aus dem starren Abhängigkeitsverhältnis bezieht.

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