Ganz oder gar nicht

Ich habe erst begriffen, wie sich diese Unverbindlichkeit in der Liebe anfühlt, als ich es am eigenen Leib erfahren habe. Da gab es diesen Mann, in den ich mich eine Weile nach der obigen Episode verliebte. Meine Alarmglocken schrillten recht schnell. Zu zweit waren wir unfassbar fröhlich und ausgelassen. Ich lieh ihm mein Auto, ich lieh im Geld, ich schenkte ihm mein Herz. Wir schliefen über Monate jeden Abend zusammen ein. Doch immer, wenn wir in Gesellschaft waren, ging er auf Abstand. Es fühlte sich oft so an, als wäre ich mehr oder weniger aus Versehen und zufällig mit ihm in einem Raum gelandet. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. In einem recht dramatischen Auftritt versuchte ich ihn davon zu überzeugen, dass das so nicht ginge. Natürlich in der Hoffnung, dass er endlich sehen würde, was er mir bisweilen antut. Sein abschließender Satz klingelt mir bis heute in den Ohren: „Wir hatten eine schöne Zeit, aber ich bin wohl einfach nicht verliebt in Dich.“

Es ist vollkommen okay, sich nicht sicher zu sein. Es ist vollkommen okay, zu zweifeln. Ob man nun erst drei Monate oder schon drei Jahre zusammen ist. Ob man zusammen wohnt, oder nicht. Aber man sollte die eigene Unsicherheit, die eigenen Zweifel, nicht dazu missbrauchen, jemand anderen in dessen offensichtlicher Verbindlichkeit zu kränken, zu verunsichern und zu verletzen. Auch ein konsequenter und klarer Abgang erzeugt Verbindlichkeit. Es hat etwas mit Respekt vor den Gefühlen des anderen zu tun, der einem zugetan ist und der es nicht verdient hat, sich jeden Tag fragen zu müssen, was bloß falsch mit ihm sei. Liebe lebt von Verbindlichkeit. Von der Wahl, die man jeden Tag aufs Neue treffen darf. Und sollte. Und abgesehen von dem Gegenüber, den wir mit unserer unverbindlichen Attitüde in der Wüste stehen lassen, tun wir uns auch selbst keinen Gefallen. Wer konsequent im Neoprenanzug duscht, wird nie wissen, wie sich Wasser auf der Haut anfühlt. Wer seine Bude nur zur Hälfte einräumt, wird nie wissen, wie es sich darin tatsächlich leben lässt. Und wer sich nicht zumindest für eine kurze Zeit verbindlich und absolut auf jemanden einlässt, wird nie wissen, ob das nicht vielleicht doch das Richtige ist.


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