Das Nein in der Liebe

Wer zu allem Ja und Amen sagt, wer alles hinnimmt, selbst wenn es ihm schadet, wird in unserer Gesellschaft leider nur selten ernst genommen. Vielmehr wird das „ständige Ja“ so wahrgenommen, als würde Verantwortung auf den anderen abgeschoben. Einige Menschen (z.B. Narzissten) kommen mit dieser „Verantwortung“ bestens zurecht und missbrauchen ihre Machtposition. Andere zerbrechen an dieser Rollenzuweisung. Sie fühlen sich überfordert. Der Partner hat sie zum „Ein und Alles“ gemacht: „Entscheid du“, heißt es dann immer wieder (auch ständige Zustimmung weist auf Verlustangst hin).

Aber das kann nicht gutgehen. Zwei Menschen sind nie gleich. Wirklich niemals! Zwei Menschen haben nie exakt dieselben Werte, Pläne, Hoffnungen, Wünsche und Bedürfnisse und all das immer und zu jeder Zeit. Das wäre wahrscheinlich auch furchtbar langweilig.

Wenn wir aber nicht gleich sind, wird es immer mal dazu kommen, dass wir mit unserem Partner nicht einer Meinung sind, dass wir etwas anderes möchten als er oder sie. Das ist völlig normal und gut so. Ja, es ist wahrscheinlich sogar eine wichtige Zutat einer glücklichen Beziehung. In Wirklichkeit wünschen wir uns gelegentlich ein wenig „Kante“ beim Partner: Widerstand, Korrektur, Reibung(-swärme). Dafür ist das besagte gelegentliche Nein wichtig.

  • Keine Nähe ohne Abgrenzung.
  • Völlige Verschmelzung („Entindividuation“) ist der Tod einer lebendigen Beziehung.
  • Keine Anziehung ohne Kontur und Grenzen. Denn dann wäre da kein „Anderes“, das uns anziehen oder das wir anziehen könnten.

Offen Nein zu sagen, wenn es notwendig ist, führt zu mehr Lebendigkeit und Tiefe in der Liebe. Und zu mehr gegenseitigem Respekt.

Wer ständig Ja sagt, tötet sich innerlich ab. Ich möchte hier keinesfalls dafür plädieren, Nein zu sagen, um Nein zu sagen. Oder in jene zerstörerischen Machtspiele abzudriften, die ich anfangs beschrieben habe. Auf keinen Fall.

Es geht vielmehr darum, trotz aller Verschmelzungs- und Symbiosewünsche in einer Partnerschaft ein Individuum zu bleiben, ein Gegenüber mit eigenem Charakter, das der Partner auf eine erwachsene Weise bewundern und lieben kann, auch wenn es gelegentlich zu Differenzen kommt. Daher ist das Nein in der Liebe so ausgesprochen wichtig. Ich gebe zu: Das fällt nicht jedem leicht, und das hat häufig biographische Gründe. Aber es lässt sich üben.

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