Buchtipp: „Heiraten. Und das Versprechen auf Glück“

Alain de Botton zeigt in „Heiraten. Und das Versprechen auf Glück“, wie ein idealer Hochzeitstag, fern von einigen allzu traditionellen Ritualen, aussehen kann und hat den gesamten Ablauf für moderne Paare neu definiert. Ein Buchauszug

Aus dem Kapitel: »Lieben und geliebt werden«

„Unsere ersten Erfahrungen mit der Liebe bestehen darin, geliebt zu werden. Wenn wir eine einigermaßen gelungene Kindheit hatten, dann bleiben uns prägende Erinnerungen daran, bedingungslos und verständnisvoll geliebt worden zu sein. Und das ohne Gegenleistung.

Unsere Eltern gingen nicht davon aus, dass wir im Alter von drei oder sechs Jahren etwa ihre Probleme für sie lösen könnten. Sie erwarteten nicht, dass wir ihnen aufmerksam zuhörten, wenn sie über ihre Probleme sprachen, oder dass wir einen Teil der Hausarbeit übernehmen sollten. Sie machten uns keine Vorwürfe, dass wir nicht genügend Geld verdienten oder zu materialistisch seien. Sie liebten uns einfach so, wie wir waren, waren immer bereit, uns zu unterstützen und im Kummer zu trösten. Im Gegenzug verlangten sie eigentlich nur, dass wir sie gelegentlich anlächelten und umarmten. Wir haben viel Erfahrung darin, was es heißt, geliebt zu werden.

Diese Prägung in der Kindheit scheint uns die normale Vorlage dafür, wie sich eine Liebesbeziehung gestalten sollte. In unseren Augen war die Liebe der Eltern naturgegeben: Unsere Eltern waren natürlich dafür da, uns über den Kopf zu streicheln, uns zärtlich und geduldig aufzufordern, über die kleinen Ereignisse unseres Tages zu sprechen, uns Mut zuzusprechen, über Probleme hinweg zu trösten und für uns zu sorgen, ohne dass wir etwas für sie tun mussten. Unsere Eltern schützten uns größtenteils vor der Erkenntnis, was sie ihre Hingabe an uns kostete. Sie zählten nicht auf, wie oft sie sich schon zurückgehalten hatten, wenn sie auf uns wütend waren; sie erklärten nicht, dass sie abends vollkommen erschöpft ins Bett sanken; sie ließen sich ihre inneren Konflikte meistens nicht anmerken, wenn sie zum Beispiel das Gefühl hatten, einen Teil ihres eignen Lebens und beruflichen Fortkommens zu opfern, indem sie Brote für uns schmierten und uns trösteten. Wir wussten nicht, was sie wirklich empfanden – und auf gewisse Weise war es uns auch egal.

Auch als Erwachsene erfahren wir Liebe, indem wir geliebt werden. Aber um unsere Beziehung aufrecht zu erhalten, müssen wir eine schwierige Wende vollziehen: Wir müssen wie ein Elternteil agieren, und auf diese Rolle sind wir gar nicht vorbereitet. Wir möchten geliebt werden, aber wir müssen auch lieben lernen. Nur einfach Liebe entgegenzunehmen führt ins Unglück, denn nur Eltern sind in der Lage, solche Einseitigkeit zu ertragen. Nun müssen wir – zumindest gelegentlich – unsere eigenen Wünsche zurückstecken und für die Bequemlichkeit und Sicherheit eines anderen sorgen. Wir müssen zuhören lernen, ohne dass uns jemand in gleichem Maße Gehör schenkt; wir müssen Sympathie empfinden, wenn auch im Augenblick nichts Gleichwertiges zurückkommt. Wir müssen begeistert wirken, obwohl uns ein wenig langweilig ist; wir müssen – vielleicht zum ersten Mal – das tun, was Eltern tun und die Interessen eines anderen eine Weile, und das von ganzem Herzen, vor unsere eigenen stellen. In der Ehe wird uns etwas Erstaunliches abverlangt: dass wir unser eigenes, dringendes Verlangen, geliebt zu werden, zurückstecken hinter die neue, unbekannte Verantwortung, jemanden zu lieben.“

Buchtipp: heiraten. Und das Versprechen auf GlückAlain de Botton

Heiraten. Und das Versprechen auf Glück.

ISBN: 978-3-86497-504-2
Verlag: The School of Life



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