Monogamie ist kein Mythos

Die Lösung der Natur bestand darin, in unseren Gehirnen und Nerven ein automatisches System von Reiz und Reaktion zu installieren, das Zuneigung zwischen Kind und Eltern erzeugt. Babys kommen mit einem Verhaltensrepertoire auf die Welt – Anschauen, Lächeln, Weinen, Anklammern, Ausstrecken der Arme –, das bei Erwachsenen Fürsorge und Zuwendung auslöst. Wenn also der kleine Sohn vor Hunger quengelt und seine Händchen nach ihr reckt, nimmt die Mutter ihn auf den Arm und füttert ihn. Und wenn Papa für sein Töchterchen gurrt oder lustige Grimassen schneidet, strampelt das Baby mit den Beinen, rudert mit den Armen und brabbelt zurück. Und so geht es immer weiter in einer Feedback-Schleife, die in beide Richtungen funktioniert.

“Romantische Liebe zwischen Erwachsenen ist eine auf Zuneigung basierende Bindung, genau wie die zwischen Mutter und Kind.”

Lange Zeit ging man davon aus, dass wir mit zunehmender Reife dem Bedürfnis nach intensiver Nähe, Fürsorge und Trost, wie wir sie als Kinder von den Menschen erfahren, die sich um uns kümmern, entwachsen. Gleichzeitig vermutete man, dass romantische Bindungen, die wir als Erwachsene eingehen, im Grunde genommen vor allem sexueller Natur sind. Dies ist eine totale Verzerrung erwachsener Liebe.

Unser Bedürfnis, sich auf einen wertvollen anderen Menschen verlassen zu können – das Wissen, dass er oder sie für uns da sein wird, wenn wir nach ihm oder ihr »rufen« –, verschwindet nie. Es besteht, wie Bowlby es formulierte, »von der Wiege bis zur Bahre« fort. Als Erwachsene transferieren wir dieses Bedürfnis lediglich von unseren frühen Versorgern auf den Liebsten oder die Liebste. Romantische Liebe ist daher nicht im Geringsten unlogisch oder zufällig. Sie bedeutet, dass wir uns weiter an ein unverzichtbares und weises Rezept für unser Überleben halten.

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Unser Partner muss nicht physisch anwesend sein. Für uns Erwachsene ist die greifbare Präsenz des anderen weniger notwendig als für ein Kind. Wir können Bilder, die wir von unserem Partner in unserem Kopf haben, nutzen, um uns mit ihm verbunden zu fühlen. So erinnern wir uns, beispielsweise wenn wir traurig sind, daran, dass unser Partner uns liebt, und stellen uns vor, wie er oder sie uns beruhigt und tröstet. Israelische Kriegsgefangene berichten, dass sie in engen Zellen den beruhigenden Stimmen ihrer Ehefrauen »lauschten«. Der Dalai Lama beschwört für sich Bilder seiner Mutter herauf, wenn er Ruhe und Gelassenheit bewahren möchte. Ich habe die ermutigenden Worte meines Mannes im Kopf, wenn ich eine Bühne betrete, um einen Vortrag zu halten.


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