Braucht Liebe Treue?

Polyamorie und offene Beziehung werden oft in einen Topf geworfen. Wo ziehen Sie die Unterschiede?

Das sind zwei Seiten einer Medaille, wenn man so will, Theorie und Praxis. Wer Polyamorie bejaht, der denkt auf alle Fälle viel über die Liebe nach, das gefällt mir, da ich das Nachdenken über die Liebe für eine wahre Fundgrube halte, wenn man sich aufmacht, die Liebe zu verstehen. Es liegt einfach nahe zu hinterfragen, warum man nur einen Menschen lieben kann und soll und darf. Polyamor lebende Menschen haben eine Theorie der Liebe und setzen diese um. Sie werden natürlich auch mit Eifersucht und dergleichen konfrontiert und suchen nach Wegen, damit umzugehen.

Es gibt dazu ein hervorragendes Buch aus der Feder zweier Philosophen: Imre Hofmann und Dominique Zimmermann, Titel: „Die andere Beziehung. Polyamorie und Philosophische Praxis.“ Hofmann und Zimmermann erklären, warum Polyamorie eine ernstzunehmende Liebesweise ist und veranschaulichen, dass man kein abgedrehter Hippie sein muss, um zu begrüßen, dass Liebe sich nicht nur auf eine Person beschränkt. Viele philosophische Paare haben dieses Modell gelebt, im 20. Jahrhundert gehörten zu den bekanntesten Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Aber schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten der große Reformer unseres Bildungswesens Wilhelm von Humboldt und seine Gattin Caroline von Dacheröden in einer offenen Ehe, gönnten sich alle Freiheiten und verstanden genau das als Ausdruck ihrer tiefen Liebe. In unzähligen Briefen geht es um dieses Thema.

Eine offene Beziehung dagegen ist sozusagen das Ausleben der polygamen Wünsche ohne das ganze theoretische Brimborium. Ein Paar merkt: Wir können und wollen Gefühle, die sich außerhalb der Beziehung „abspielen“, nicht unterdrücken, das ist einfach so. Wie kriegen wir das hin, ohne den festen Partner zu verletzen? Geschieht das Fremdgehen in aller Offenheit oder diskret in dem Sinne, dass beide wissen, dass etwas läuft, ohne nach Details zu fragen. Wer eine offene Beziehung führt, der macht einfach kein Prinzip oder keine Philosophie daraus, dass es möglich ist, mehrere Menschen zu lieben.


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