Warum texten wir so viel, aber sprechen kaum noch miteinander?

Diverse Fetische und entsprechende „Anfragen“ aus heiterem Himmel.

Beleidigungen wie „Du dumme Bulle“ (a.k.a. Kuh) und „kuck mal in den Spiegel du fette nuss“ (ja, mit k).

Pranks von Wannabe-Youtube-„Stars“.

Aufreißer, offenbar mit Copy-Paste-Nachrichten.

Touristen, die eine kostenlose Stadtführung wollen.

Leute, die auf der Suche nach einem – kostenlosen – Zimmer sind.

Und so weiter.

Trotzdem gab es noch genug schöne Kontakte, so dass die Sucht sich nicht selber auffressen konnte. Zum Glück, oder leider.

Ein paar Chats waren richtig interessant, aber die meisten entwickelten sich zu einer Brieffreundschaft. Oft ergriff ich die Initiative und fragte von mir aus nach einem Treffen. Ein entspanntes Kennenlernen bei einem Kaffee, vielleicht ein Spaziergang in einem Park oder der Innenstadt. Ja, hieß es dann, das sei eine gute Idee, und dann wurde einfach weitergetextet.

In mir entstanden Bilder. Bilder von Männern, die ich nicht kannte. Von denen ich ein paar Worte hingeworfen bekommen hatte, aus denen ich dann die Bilder formte. Angereichert mit eigenen Fantasien, Wünschen, Bedürfnissen.

Was dabei herauskam, hatte wohl herzlich wenig mit der Realität zu tun.

Manchmal, in einem klaren Augenblick, kam mir der Gedanke: Ich texte da gerade mit jemandem, vertraue ihm teilweise sehr private Dinge an, und weiß doch fast nichts über ihn.

Wenn das alles gewesen wäre, wäre die Blase vielleicht bald geplatzt und hätte ich die App schon früher wieder deinstalliert.

Aber es gab dann auch ein paar Treffen im real life.

Insgesamt vier, um genau zu sein.

Vier Männer, die mit mir witzige und nette Konversationen gehabt hatten und die ich attraktiv fand. Vier erste Dates in drei Wochen. Straffes Programm.

Von Date zu Date sank meine Laune.

Mein Bild, das ich mir gemacht hatte – und das sie aktiv mitgestaltet hatten –, passte bei keinem von ihnen ansatzweise zum echten Mann. Das einzige, das stimmte, war, dass sie wirklich nett waren.

Nett und völlig orientierungslos. Keiner von ihnen wusste so richtig, was er genau wollte. Keiner hatte einen Masterplan. Alle ließen sich treiben. Alle von den vieren waren darauf bedacht, einen emotionalen Sicherheitsabstand aufrechtzuerhalten. Einen Fluchtweg. Alle stellten durch ihr laues Engagement eine langfristige gemeinsame Zukunft eigentlich schon infrage, bevor sie sich überhaupt auf den Weg gemacht hatten.


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