Und was ist mit …? Die Whataboutism-Falle in Beziehungen

Wenn der Streit eskaliert und der Partner Argumente anbringt, die mit dem Anlass nichts zu tun haben: Whataboutism in Partnerschaften ist nicht nur im gesellschaftlichen Diskurs die Pest, sondern auch zuhause.

„Du hast schon wieder vergessen, …“
„Ja, aber du hast doch letztens …“
„Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun …“
„Wenn du das machst, warum soll ich dann nicht das machen …“

Manche Gespräche muss man gar nicht zu Ende hören, um zu wissen, wie sie wohl ausgehen. Dieses hier wird garantiert keinen der Partner zufrieden hinterlassen. Dafür aber frustriert und mit dem Gefühl ungehört und unverstanden und zurückgewiesen zu sein. Und nicht nur für den Moment ist das schmerzhaft, auch für die Zukunftsperspektive der Beziehung sind solche frustrierenden Auseinandersetzungen wahres Gift. Denn wenn Aussprachen so ablaufen, dann verlieren beide Partner die Zuversicht, dass Konflikte gelöst und dass Probleme bewältigt werden können. Ohne diese Zuversicht werden sie mittel- und langfristig nicht mehr in ihre Beziehung investieren. Das wird automatisch zu einer Distanz zwischen ihnen führen und damit das Bedürfnis nach wahrer Nähe verstärken. Sind die Partner dann irgendwann überzeugt diese Nähe sei nicht mehr herzustellen, werden sie Bindung außerhalb der Beziehung suchen – und finden.

Was ist Whataboutism in Beziehungen?

In sozialen Medien und in der Politik ist der Begriff „Whataboutism“ allgegenwärtig. Und ebenso die Gesprächsführung, die dahinter liegt. Jemand beschwert sich über einen, seiner Meinung nach, unhaltbaren oder zumindest dringend veränderungsbedürftigen Zustand. Ich wähle bewusst ein Beispiel, das bei unseren Lesern zu ganz genau solchen Reaktionen und Diskussionen geführt hat, weil es bei Whataboutism fast immer um starke Emotionen geht. Wir berichteten über die erschreckende Statistik, dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Ex-Partner oder Partner ermordet wird. In Boulevardzeitungen findet man solche Meldungen verharmlosend als „Beziehungsdrama“, was dafür sorgt, dass diese erschütternden Zahlen kaum Aufmerksamkeit erreichen.

Whataboutism ist, wenn nun zur Verstärkung der Zahlen und seines Wunsches nach Veränderungen jemand das eigentliche Thema verlässt und andere erschütternde Statistiken zitiert: „Pro Jahr sterben etwa 450 Radfahrer. Das ist Anlass genug für Milliardeninvestitionen im Straßenverkehr. Warum fließt so gut wie kein Geld in Frauenhäuser?“ Ermordete Frauen werden so bewusst mit getöteten Radfahrern verglichen. 

Whataboutism ist ebenso, wenn nun jemand das eigentliche Thema ins Gegenteil verdreht. „Das BKA hat für 2015 23.200 Fälle von Übergriffen auf Männer von weiblichen oder männlichen Ex-Partnern und Partnern registriert. Darüber müsste man mal sprechen!“ Bewusst wird die Zahl der ermordeten Frauen durch eine höhere Zahl aus einer völlig anderen Statistik vermeintlich unbedeutender gemacht.

Starke Emotionen führen Whataboutism

Und man fragt sich: Wozu? Um von einem Gedanken abzulenken, der für starke Emotionen sorgt. Durch ein Argument, das ebenfalls für starke Emotionen sorgt. Erregung wird mit Empörung gleichgestellt und ebenso Themen, die solche Gefühle auslösen. Eine Eskalation der Hilflosigkeit.

Werden Menschen angegriffen, dann reagieren Sie mit Gegenangriff, Flucht oder Schockstarre. Das hat damit zu tun, dass diese reflexartigen Reaktionen evolutionär erfolgreich waren bevor in unseren Gehirnen die Regionen entwickelt wurden, die fürs Analytische und den Vergleich zuständig sind. Bevor man sich also darauf besinnen kann, wie man in einer ähnlichen Situation früher reagiert hat und damit den Konflikt deeskalieren konnte, hat das „Reptiliengehirn“ längst zurückgeschlagen.

Auch Kritik ist immer eine Art Angriff, die nicht körperlich ist, aber den Selbstwert der kritisierten Person verletzt. Je stärker der Angriff, umso heftiger die Reaktion. Je niedriger der Selbstwert bereits zuvor war, umso hilfloser die Gegenmaßnahmen – aber oft umso gnadenloser.


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