Ein Leben ohne Schuld

Dieses Gefühl ist so unangenehm, dass wir es unbedingt vermeiden oder loswerden wollen. Das gelingt durch heftige Gegenwehr: „Selber doof!“ Und schon geht der Streit los oder in die nächste Runde.

Brown hilft, die körperliche Reaktion auf die Angst vor der Scham zu erkennen: z.B. flachen Atem, ein Hitzegefühl in der Brust, Hände zu Fäusten geballt, Augen verengt … Meist sind es ja unsere Liebsten (oder der Chef), die uns zur Weißglut bringen. Dann sollen wir sozusagen die Pausentaste drücken und die Situation genau untersuchen. Wenn ich „so“ behandelt werde, welcher Film läuft dann bei mir ab? Der Kollege guckt komisch – schon denke ich, er hält meine Idee für dumm (aber vielleicht hat er bloß gerade die zehnte Textnachricht von der kranken Tochter bekommen). Oder mein Freund hat keine Milch für meinen Frühstückskaffee gekauft – ist er gedankenlos und trifft gleich seine Geliebte, oder hat er es einfach nur vergessen? Notfalls muss man fragen. Vielleicht war jemand wirklich genervt. Vielleicht war es ein Missverständnis. So oder so ist man hinterher klüger und näher dran an der Wahrheit. Im Idealfall kann eine Neubewertung erfolgen: War gar nicht gegen mich gerichtet, hab mich umsonst gesorgt, kann ich nächstes Mal lassen.

Besonders anwenderfreundlich ist Browns Methode noch nicht. Sie gibt zu: „Für diejenigen, die Unsicherheit und Verletzlichkeit als unangenehm empfinden, ist das sehr schwer“ Und genau das sind doch diejenigen, die Ihre Tipps am nötigsten brauchen!

Die Idee, Schuld und Scham loszuwerden – und damit auch den ewig gleichen Kreislauf der vorgeschobenen Schuldzuweisungen – ist befreiend. Es führt kein Weg daran vorbei, dass Browns Erkenntnisse und Empfehlungen nicht nur wissenschaftlich fundiert, sondern auch offensichtlich nützlich sind. Unsere Angst vor Verletzungen soll uns schützen – und das tut sie auch. Doch sie verhindert dabei zugleich die Nähe, nach der wir uns so sehnen! Es wird nicht leicht, das zu ändern, aber es geht. Schritt für Schritt. Manchmal fällt man dabei hin, aber auf die Dauer lernen wir so Laufen.


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