Als Eltern gelassen durch die Jahre 5 bis 10

Jutta ist kein Einzelfall. Unsere heutige Elterngeneration übernimmt unseres Erachtens viel zu viele Aufgaben. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass wir zwar wissen, dass wir es »anders«
als frühere Genrationen machen wollen, aber leider haben wir noch keine Ahnung, wie dieser neue Weg aussehen soll. So kommt es, dass wir uns oft ein Arbeitspensum aufbürden, das für einen Einzelnen einfach nicht zu schaffen ist. Ein Grund dafür liegt – wir schrieben es schon – darin, dass wir Großen das Gefühl dafür verloren haben, an welchen Stellen unsere Unterstützung nötig und wo sie unnötig ist. Kinder können, wollen und sollen Eigenverantwortung für all die Dinge übernehmen, die ihren eigenen Körper betreffen. Übernimmt der Erwachsene jedoch diese Verantwortung, können drei Dinge passieren: das Kind verliert sein natürliches Gefühl für seine körperlichen Bedürfnisse; das Kind verinnerlicht, dass seine Selbstfürsorge nicht erwünscht ist; die Erwachsenen überfordern sich.

Das Kind verliert sein natürliches Gefühl für seine körperlichen Bedürfnisse

Kinder wissen, wann sie Hunger haben und wie viel sie essen wollen – diese Kompetenz haben sie, wenn auch nicht bewusst, seit dem Tag ihrer Geburt. Lange Zeit wurde den Eltern jedoch eingeredet, sie müssten überwachen, wie viel ihr Kind zu sich nimmt, damit es gedeiht. So wurden – von Experten unterstützt – die Mahlzeiten bis aufs Gramm genau abgewogen und Essenszeiten festgelegt. Auch heute noch unterliegen die Eltern häufig der irrigen Vorstellung, sie müssten ihrem Baby noch ein bisschen mehr Brei unterschummeln, selbst wenn es bereits den Kopf wegdreht oder den Mund zukneift. Größeren Kindern wird heutzutage zwar nicht mehr gesagt, sie müssten aufessen, doch entscheiden weiterhin meist die Erwachsenen in ihrem Leben, ob sie »schon genug« gegessen haben. »Noch einmal abbeißen!«, heißt es dann oder »Iss noch eine Gabel voll Gemüse, dann kannst du Nachtisch haben.«

Auch Paulas Mutter hat das Gefühl, sie müsse ihre Tochter daran erinnern zu essen, vermutlich, weil sie meint, es läge in ihrer elterlichen Verantwortung, dass das Kind gestärkt und satt in den Tag geht. Doch die Mutter ist nur dafür verantwortlich, dass genügend gesundes Essen im Haus ist und dass das Mädchen im normalen Ablauf des Morgens ausreichend Zeit hat, sich an den Tisch zu setzen, um zu essen. Ob es diese Zeit nutzt und wie viel es isst, liegt wiederum im Verantwortungsbereich des Kindes.

Das Kind verinnerlicht, dass seine Selbstfürsorge nicht erwünscht ist

Die Spiegelneuronen im Gehirn unserer Kinder nehmen sehr genau auf, wie unsere Gesellschaft funktioniert, und speichern das als Normalzustand ab. Die ureigenen Instinkte der Kinder sind eigentlich auf Selbstfürsorge ausgerichtet. Werden Neugeborene nach der Geburt auf den Bauch der Mutter gelegt, drücken und schieben sie so lange mit den Beinchen, bis sie mit dem Mund die Brustwarze erreichen. Haben Babys das Gefühl, allein zu sein, fangen sie an zu schreien, um mit ihrem Weinen ihre Bezugspersonen dazu zu veranlassen, zurückzukommen. Auch bei Einjährigen kann man den natürlichen Drang nach Selbstfürsorge gut erkennen, nämlich bei jedem »Alleine machen!«, das uns Großen entgegenschallt.


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