Arthur lebt: Über eine extreme Frühgeburt

Dann erzählte mir der Vater noch mal von diesem heiligen Moment, wie er es nannte, als er zusammen mit seiner Frau nach Wochen zum ersten Mal das tun durfte, was für frischgebackene Eltern eigentlich normal ist: das eigene Kind anfassen und auf den Arm nehmen. Dabei wird das Frühchen in einen speziellen Bonding-Gurt gelegt, Känguruhen nennen wir das.

Anfangs wurde Arthurs Alter nach unten korrigiert. Die Monate, in denen ein Baby noch gar nicht auf der Welt sein sollte, werden bei Frühchen abgezogen und der Entwicklung angepasst. Heute, nicht einmal zwei Jahre später, war Arthurs korrigiertes und tatsächliches Alter in vielen Bereichen deckungsgleich.

Es wurde damals lange intern diskutiert, ob man Arthurs Überleben bekanntmachen sollte. Die Leute lieben Rekordgeschichten wie diese, und unsere Presseabteilung auch. Ist ja auch gut fürs Renommee einer Klinik. Aber es schürt auch falsche Hoffnungen. Dass ein so extremes Frühchen keinerlei Schäden davonträgt, ist leider nicht der Normalfall. Auch die Vorstellung, man könne das Minimalgewicht immer weiter nach unten drücken, ist falsch. Mein Chef hatte sich schließlich gegen eine Pressemitteilung ausgesprochen.

Bewegt vom Wiedersehen mit Arthur ging ich wenige Tage später zum Frühchenfest unserer Klinik. Ich hatte mir das schon länger vorgenommen, aber mein Dienstplan hatte es nie zugelassen. Es findet jedes Jahr im Sommer im Park des Krankenhauses statt. Ehemalige Frühchen sind mit ihren Eltern eingeladen, es wird gegrillt, Spiele werden gespielt. Jedes Kind bekommt ein T-Shirt, auf dem die Schwangerschaftswoche und das Geburtsgewicht stehen. Die Trophäen ihres Überlebens.

Es gibt Studien, die zeigen, dass sich Eltern von Frühchen häufiger trennen; wie eine Totgeburt sind auch sie eine massive Belastungsprobe für eine Beziehung. Wer als Paar auf diesem Fest erscheint, dachte ich mit Blick auf die Gäste, der feiert auch sich selbst.

Am Grill traf ich einen 12-Jährigen, der größer war als ich. Ungläubig starrte ich auf sein Shirt: SSW 26 / 600 Gramm. Aber ich sah auch Kinder, die vier Wochen länger im Bauch und bei der Geburt doppelt so schwer gewesen waren. Die eine starke Brille hatten und sichtbare Behinderungen davongetragen haben. Bestimmt war es nicht leicht für die Eltern, sie neben Kindern wie Arthur auf dem Fest zu sehen. Mein Chef hatte richtig entschieden.

Über das Buch:

Die Wehenschreiberin von Maja Böhler

Die Wehenschreiberin
Geschichten aus dem Kreißsaal

Maja Böhler

ISBN: 978-3-442-15972-7

Goldmann Verlag


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