Zu schön, um wahr zu sein

Als sie sich trafen, kurierten sie ihre früheren Verletzungen. Wieder geheilt, wiederholten sie jedoch die alten, schmerzhaften Muster. Unsere anonyme beziehungsweise-Leserin über ein kurzes Glück.

Es war zu schön um wahr zu sein

Wir wohnten 90 km voneinander entfernt und trafen uns wenige Tage nach unserer Entlassung das erste Mal im privaten Bereich. Wie ein kleiner Junge sprangst du vor Freude in deiner Wohnung umher, als ich sie das erste Mal betrat. Du hattest mir einen Pullover gekauft, von dem du sicher warst, dass er mir gut stehen würde. Du hattest den Kühlschrank mit Dingen gefüllt, von denen du sicher warst, dass Sie mir schmecken würden. Der erste gemeinsame Abend, die erste gemeinsame Nacht war so wunderschön. Das von dir so liebevoll gezauberte Frühstück am nächsten Tag ließ mich mit einem Lächeln in den Tag starten. Wie konnte diese Frau dich nur so behandeln, fragte ich mich? Es war zu schön um wahr zu sein.   

Du hattest noch weiter mit deiner Depression zu kämpfen

Oft lagst du neben mir und weintest bitterlich. Ich versuchte alles, um dir Mut zuzusprechen, für dich da zu sein, dich einfach nur in den Arm zu nehmen. Immer wieder sagtest du mir, dass du Angst hast, dass du das Leben nicht mehr erträgst. Mir damit so sehr schaden könntest und nie mehr der Mann werden wirst, der du eigentlich bist. Ich versprach dir, dass du es schaffen wirst. Dass du für mich ein so wertvoller Mann bist, weil du so liebevoll und aufmerksam warst. Weil du mich so behandelt hast, wie ich es kaum kannte.

Und wir standen diese Zeit zusammen durch. Ich trocknete deine Tränen, hörte Dir regelmäßig bei deinen verzweifelten Tiefs am Telefon zu und versuchte für dich da zu sein. Du wünschtest dir nichts mehr als eine gemeinsame Zukunft, eine Familie, wolltest endlich ankommen. Ich sagte dir, dass diese Zeit vorbei geht und wir dann eine gemeinsame glückliche Zukunft haben könnten. Auch in mir war dieser Wunsch deutlich spürbar. Und immer wenn ich daran dachte, wie es sein könnte, mit dir, diesem wundervollen Mann, das Leben zu verbringen, kribbelte es in mir. Und ich dachte, das wäre zu schön, um wahr zu sein.  

Wir machten Pläne für eine gemeinsame Zukunft

Und du hast es tatsächlich geschafft. Du hast dieses Tief überwunden und wurdest wieder der Mann, der du eigentlich warst. Du wolltest zu mir ziehen. Es gab kein Gespräch hierüber, sondern nur eine Entscheidung von dir. Aber du hattest es geschafft, dass ich diesen Traum mit dir in Gedanken durchlebte und anfing mich darauf zu freuen. Ich sah dir mit einem Lächeln im Gesicht zu, wie du meine Zimmer vermessen hast. Wie du Pläne für eventuelle Umbauten erstelltest und dachte immer wieder, es ist einfach zu schön, um wahr zu sein. Ganz spontan unterschriebst du plötzlich einen Mietvertrag in deiner alten Heimat. Weil es ja viel praktischer sei. Auch hier gab es kein Gespräch. Ich spürte nur diesen dumpfen Aufprall, als meine Träume, von denen ich dachte, es wären unsere gemeinsamen, von jetzt auf gleich zerplatzten.  

Seit diesem Moment habe ich dich nicht mehr erkannt

Der Mann, der damals zärtlich meine Hand hielt und mir tief in die Augen sah, der mein Herz für sich gewann, diesen Mann gibt es nicht mehr. Du bist zurück und wieder mit beiden Beinen im Leben. Ich bin immer noch an deiner Seite. Aber ich habe angefangen unbequem für dich zu werden.  

Ich habe die ersten Monate unserer Beziehung damit verbracht, dich aufzubauen, für dich da zu sein. Die nächsten Monate habe ich, trotz meines inneren Schmerzes, damit verbracht, dir beim Renovieren und beim Umzug zu helfen. Auch hier machte ich in deinen Augen häufig Fehler und wurde zurechtgewiesen. Die Zeit danach verbrachte ich damit, mich um dich zu sorgen, weil du körperliche Beschwerden hattest. Diese variierten immer, je nachdem mit wem du gerade deine Zeit verbrachtest. Bei Diskussionen zwischen uns wurden sie schlimmer und ich dadurch mundtot gemacht. Wenn ich deine neue Wohnung betrat, verspürte ich immer wieder diesen Stich, denn ich hatte deine Worte ernst genommen.  


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