Ich kannte ihn nicht mehr

Eine unerwartete Trennung führte unsere anonyme Autorin zurück in ein ereignisreiches und erfülltes Leben, das sie viele Jahre verpasst hatte. Wie sogar aus einem Betrug ein neuer Sinn entstehen kann

2017 – für mich nicht nur eine Zahl, sondern auch Synonym für die turbulenteste Zeit meines bisherigen Lebens. Ich hatte mich fast schon mit dem beruhigenden, sicheren Einheitsbrei der letzten Jahre arrangiert. Meine Beziehung? Lief schon – und nach fast acht Jahren schien ich recht geübt in Punkto Realitätsverweigerung. Mein Job? Lief auch – ein unbefristeter Vertrag, ein sicheres, solides Unternehmen. Inzwischen hatte ich einen großen Freundeskreis aufgebaut und für meine Hobbies fand sich auch noch ein Plätzchen. Aber das Leben dachte sich: Moment mal – so kann es nicht weitergehen. Wo bleibt die Herausforderung? Genau die sollte ich haben – und zwar in jeglicher Hinsicht.

Alles begann mit einem nächtlichen Anruf meines (damaligen) Freundes. Gedanklich schon im Bett, hörte ich zunächst nur halb zu. Doch da war etwas, eine tiefe Unsicherheit in seiner Stimme. Meine volle Aufmerksamkeit galt jetzt ihm. Er wand sich, um die Worte auszuspucken, die ihm seit einem halben Jahr im Hals stecken geblieben waren. Eine andere Frau war im Spiel gewesen. Aber schon länger her. Aha. Und sonst? Mit jeder Minute, die verging, sprudelten weitere Überraschungen hervor. Ich war geduldig, stellte einfach nur Fragen. Ich fühlte mich wie ein Ermittler kurz vor des Rätsels Lösung. Mit dem kleinen Unterschied, dass das Rätsel mein Freund war. Und ich vorher nicht wusste, dass es etwas zu lösen gab.

Natürlich, ich kannte seine Ecken und Kanten. War mir sicher, dass ich verstand, wie er tickte, dass ich wusste, wo seine Probleme lagen. An diesem Abend wurde mir klar, wie wenig ich meinen Freund kannte, dass ich acht Jahre mit der Hülle eines Menschen verbracht hatte, die mir nur durch winzige Löcher kleinste Einblicke gegeben hat.


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